Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
Vom Netzwerk:
durfte sich rechts oder links von der Straße entfernen, denn er kehrte selten wieder zurück. Trotz aller Vorsicht wurden solche Kolonnen aber doch oft überfallen, zerstreut und gefangen. Alle Häuser an der Heerstraße nach Smolensk waren überfüllt mit kranken und verwundeten Soldaten, die, verlassen und hilflos, meist nur auf steinernen Böden lagerten, oft von verwesenden Leichnamen ihrer verschiedenen Kameraden umgeben, von Ungeziefer verzehrt, aller menschlichen Hilfe beraubt, das bejammernswerteste Dasein oft mit eklen Nahrungsmitteln fristend. Von einem Ort zu dem andern entdeckte das Auge nichts als Brandstätten in öder Wüste; zerstreute menschliche Gebeine, gefallene Tiere, Trümmer von Fuhrwerk und zerlumpte Gewänder, an denen keine militärischen Abzeichen mehr zu erkennen waren, bezeichneten die Heerstraße von Moskau nach Smolensk.«
    Der in Moshaisk stationierte westphälische Hauptmann Johann von Borcke charakterisiert die Lage dort Anfang Oktober so: »Es waren vielleicht zehn Tage vergangen, als die Verbindung zwischen uns und Moskau sowie die nach Wjasma und Dorogobusch durch Kosaken und bewaffnete Bauern unterbrochen wurde, obgleich an verschiedenen Punkten Detachements zur Aufrechterhaltung derselben zurückgeblieben waren. Ordonnanzen blieben aus, es kamen keine Genesenen mehr an, die Nachrichten wurden immer seltener, und mehrere nach Lebensmitteln ausgeschickte Abteilungen wurden ganz oder zum Teil aufgehoben. Unsere Lage erschien mit jedem Tage mißlicher, und die Sicherheit war zuletzt unmittelbar vor dem Orte so gefährdet, daß nur größere Abteilungen ihn verlassen konnten. Auch einzelne Offiziere, die in der Nähe spazieren oder auf die Jagd gegangen waren, verschwanden.
    Christian Wilhelm von Faber du Faur: Im Kreml zu Moskau, den 17. Oktober 1812. – Der Kreml hatte den verheerenden Brand der Stadt unversehrt überstanden. Der Versuch der Franzosen, ihn zwei Tage später beim Abzug zu sprengen, scheiterte. Im Vordergrund steht ein Grenadier der französischen Kaisergarde mit einem Munitionswagen der französischen Artillerie. Die meisten dieser Wagen mußten aus Mangel an Bespannung zurückgelassen werden; mit ihrer Munition wollte man den Kreml in die Luft sprengen.
    Als in der Nacht vom 9. zum 10. Oktober endlich ein ganzes Bataillon, welches als Seitenposten in Wereja stand, überfallen und niedergemacht oder gefangen worden war, mußten wir uns in Moshaisk selbst mit Wachen und Posten umgeben.«
    Oberstleutnant Meibom, der Mitte Oktober den Befehl erhielt, für den Abtransport von Verwundeten Wagen aufzutreiben, war zwar erfolgreich, aber nur, weil ihm für diesen Auftrag 300 Soldaten zur Verfügung standen, die diese konfiszierten Wagen auch noch mit Lebensmitteln beluden und sicher heimbrachten. Doch Bauernmilizen verfolgten diesen Konvoi von Ort zu Ort, nachdem sie durch Glockengeläut alarmiertworden waren, wagten aber keinen Angriff. Nur gelegentlich schossen sie auf die Westphalen, verletzten aber nur fünf Soldaten leicht, während das Feuer der westphälischen Infanterie den Bauern ziemliche Verluste zufügte.
    Am 18. Oktober traf in Moskau ein sogenanntes »Marschbataillon« ein, 1500 württembergische Soldaten, genesen von Krankheit oder leichter Verwundung und nun wieder einsatzfähig. Doch sie waren umsonst gekommen, denn am 19. Oktober verließ Napoleon um 5 Uhr morgens Moskau. Seine Truppen folgten ihm.

12. RÜCKZUG ÜBER KALUGA?
    Napoleon hatte seine Soldaten am 18. Oktober abends mit einem Tagesbefehl überrascht: »Soldaten! Unvorhergesehene Ereignisse bestimmen mich, morgen, den 19. Oktober, mit der Armee Moskau zu verlassen, um solche in die wohlverdienten Winterquartiere zu führen. Freundschaftlich gesinnte Völker, die wir befreit und glücklich gemacht haben, werden uns mit Liebe empfangen und mit Wohltaten überhäufen. Finden wir die Russen auf unserem Wege, so werden wir sie schlagen; finden wir sie nicht, desto besser für sie!«
    Ironisch kommentiert Leutnant Karl von Kurz später die Worte seines Kaisers: »Der Erfolg zeigte bald, daß die Russen uns fanden, wir sie aber nicht mehr schlugen, und es in der Tat besser für uns gewesen wäre, wenn sie uns nicht gefunden hätten!« Man muß sich auch ziemlich verwundert fragen, an welche »freundschaftlich gesinnte Völker, die wir befreit und glücklich gemacht haben«, Napoleon wohl gedacht haben mochte. Seine Soldaten waren nirgends mit Brot und Salz willkommen geheißen worden, einige

Weitere Kostenlose Bücher