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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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lernen können. Doch weder hatte er damals den Volksaufstand der Spanier begriffen noch jetzt den Volkskrieg, den die Russen gegen ihn führten. Er sah in ihnen nur Barbaren, womit er siesträflich unterschätzte. Bisher hatte er Kriege in überschaubaren Dimensionen geführt und in Ländern, die sich ihm widerstandslos unterwarfen, war erst der militärische Konflikt beendet.
    Verhängnisvoll war für Napoleon außerdem, daß er über den völlig zerrütteten Zustand seiner Grande Armée nicht wirklich informiert war und er den Informationen, die ihm von allen Seiten zugingen, offensichtlich keinen Glauben schenkte. Er wußte, daß die russische Armee fast täglich um neue Regimenter, Waffen und Verpflegung verstärkt wurde, glaubte aber lieber Murats prahlerischen Erfolgsmeldungen, mit denen er seine verlorenen Gefechte vertuschte. Zwei neue Armeekorps, das 9. unter Marschall Claude Victor und das 11. unter Marschall Pierre Augereau, frische Reserven, hatten ihren Vormarsch auf Moskau begonnen. Zusammen zählten beide Korps 61 788 Soldaten, Franzosen, Holländer, Badener, Sachsen, Polen, Neapolitaner, Westfalen und Mecklenburger. Wahrscheinlich dachte er an sie, als er zu Caulaincourt sagte, er habe mehr Truppen, als er brauche, was nur zeigt, wie wenig er über den erbarmungswürdigen Zustand seiner Truppen im Bilde war.
    Ein besonderes Problem waren die riesigen, nur schwer zu sichernden Verbindungen zwischen Kowno und Moskau, worauf ihn schon Caulaincourt hingewiesen hatte. Nicht nur in den Städten, auch auf dem Land hatte Napoleon Stützpunkte anlegen lassen, meist Blockhäuser, die mit einer Handvoll Soldaten besetzt waren, Stütz- und Haltepunkte für die Kuriere, die unablässig zwischen dem kaiserlichen Hauptquartier und den Städten Europas hin und her reisten, aber natürlich auch für die gut organisierte französische Feldpost, die zum Beispiel für die Strecke Moskau - Paris 18 Tage brauchte, was angesichts der damaligen Straßenverhältnisse, in Rußland zumal, eine beachtliche Leistung darstellte. Bisher waren Kuriere und Post ziemlich sicher durchgekommen, aber das änderte sich nun. Zwar berichtet Caulaincourt, daß nur zweimal– Mitte Oktober – Kuriere von den Russen abgefangen wurden und der Feldpost ein einziges Mal drei Koffer voller Post verlorengingen, doch die Kosaken, die diese Überfälle ausgeführt hatten, waren nur an Geld interessiert gewesen und hatten die Papiere liegengelassen; sie wurden bald darauf gefunden und zugestellt. Alle politischen oder militärischen Botschaften und Briefe wurden grundsätzlich verschlüsselt und waren für die Russen undechiffrierbar. Die Kuriere und der Postdienst arbeiteten als Stafetten, das heißt, man transportierte zu Pferd oder zu Wagen von Poststation zu Poststation, wo das Eintreffen und der Abgang auf sogenannten Stafettenzetteln eingetragen wurde, ebenso wie besondere Vorkommnisse. Diese Stafettenzettel gingen ins kaiserliche Hauptquartier und gaben Auskunft, wo, wann und wie oft Überfälle stattgefunden hatten. Napoleon las diese Zettel mit wachsender Sorge: »Wir werden ohne Nachrichten aus Frankreich bleiben. Aber das schlimmste ist, daß man in Frankreich nichts von uns hören wird!« Wie unsicher die Straßen im September geworden waren, ist dem Bericht des westphälischen Oberstleutnants Heinrich Friedrich von Meibom zu entnehmen: »Es bildeten sich bewaffnete Bauerntrupps, die von ihren Edelleuten angeführt wurden und die Landstraße unsicher machten. Geordnete, wenn auch schwache Truppenkörper hatten von diesen Bauern nichts zu fürchten, waren aber genötigt, im Nachtquartier wie im Biwak Sicherheitsmaßregeln zu treffen. Traineurs – Leute, die der Truppe einzeln folgten – waren in der Regel verloren. Der Kaiser hatte zur Unterhaltung der Kommunikation mit Russisch-Polen und Deutschland zwischen den Städten auf der großen Landstraße Blockhäuser anlegen lassen. Hier wie in den Städten waren Truppen unter eigenen Kommandanten verteilt. Diese hatten die Kuriere, etwaige Rekonvaleszenten und die Konvois von einem zum andern Ort zu eskortieren.«
    Leutnant Karl von Kurz machte die Erfahrung, daß in »jedem Dickicht Kosaken und rachedürstende Bauern« lauerten.»Kleine Abteilungen, unbewachte Kuriere wurden meist ihre Opfer und mußten nicht selten unter grausamen Qualen durch die Wut des Volkes bluten. Selbst wenn größere Kolonnen zum Heere gehen wollten, war ihnen die höchste Vorsicht dringend nötig. Kein Mann

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