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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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erblickte man eine Menge ganz oder halb verbrannter Gerippe, die von Tausenden von Verwundeten herrührten, die sich während des Kampfes in den Häusern bargen und mit diesen verbrannten. Die kleinere Anzahl derer, die sich den Flammen noch entrissen, zeigte sich mit verbrannten Gesichtern und Händen, versengten Haaren und Uniformen; mit sterbender kläglicher Stimme stießen sie ein schneidendes Geschrei aus. Selbst der Roheste wurde davon gerührt, wandte die Augen weg und konnte sich kaum der Tränen enthalten.«
    Friedrich von Schubert kam einen Tag später in die verwüstete Stadt: »Ich habe nie etwas Ähnliches gesehen, hätte nie das für möglich gehalten, was ich dort sah! In den engen Straßen des tiefen Ravins (Schlucht) waren Tausende der Unsrigen und der Feinde gefallen, und die Artillerie war während dem Gefecht bald in einer, bald in der anderen Richtung darüber gejagt, um vor der Stadt aufzufahren: Am andern Tag sah man in diesen Straßen große unförmige Massen von Menschenfleisch, wo man mit Mühe unterscheiden konnte, daß sie aus menschlichen Körpern bestanden; die Pferde hatten das alles zerstampft, die Räder der Artillerie es zermalmt und zu großen Klumpen geknetet. Abscheulich!«
    Am 25. Oktober, noch vor Tagesanbruch, wollte sich Napoleon persönlich von der Stellung der Russen ein Bild machen.Würden sie sich zurückziehen? Ein Adjutant Eugènes brachte die Meldung, man könne nur die Biwakfeuer der Kosaken ausmachen, Bauern berichteten vom Rückzug der Russen. Trotz eindringlicher Warnungen, es sei noch zu dunkel, um Genaueres zu erkennen, ritt Napoleon in die Dunkelheit hinaus, ohne auf seine Stabswache zu warten, die aus 21 berittenen Garde-Jägern bestand, handverlesenen Elitesoldaten. Armand de Caulaincourt war an Napoleons Seite: »Es dämmerte erst, und kaum tausend Meter vom Hauptquartier entfernt sahen wir uns plötzlich für einen Augenblick inmitten von Kosaken, deren Gros vor uns gerade einen Fuhrpark und eine Artilleriekolonne angriff, die sie marschieren hörten. Sie nahmen ihr einige Geschütze ab. Es war noch so dunkel, daß wir erst durch ihr Geschrei aufmerksam wurden, und wir waren mit einigen von ihnen im Handgemenge, bevor wir sie noch erkannt hatten. Ja, ich muß gestehen, man war so wenig darauf gefaßt, sie inmitten der Biwaks unserer Garde zu sehen, daß man auf die ersten Rufe wenig achtete. Erst als sie lauter wurden und in unmittelbarer Nähe des Kaisers ertönten, kam der General Rapp, der mit den Grafen Lauriston, Lobau, Durosnel, den diensttuenden Ordonanzoffizieren und der Vorhut des Bedeckungstrupps vor dem Kaiser ritt, zu ihm zurückgesprengt und rief ihm zu: ›Halten Sie, Sire, es sind die Kosaken!‹ – ›Nimm die Chasseurs der Wache‹, antwortete er, ›und geh mit ihnen vor!‹ Diese, zehn bis zwölf an Zahl, die einzigen, die uns hatten folgen können, preschten schon von selbst vor, um die Vorhut zu verstärken. Es war noch so dunkel, daß auf 25 Schritt nichts zu erkennen war. Nur das Krachen der Schüsse, die Rufe der Kämpfenden zeigten an, wo das Handgemenge stattfand. Der Adjutant des Fürsten von Neuchâtel, Emanuel Lecouteulx, wurde von einem Reiter der Garde, der ihn für einen Russen hielt, durch die Brust gestochen.
    Der Kaiser war allein mit dem Fürsten von Neuchâtel (Generalstabschef Berthier) und mir. Wir hatten alle drei blankgezogen.Das Handgemenge tobte in nächster Nähe und kam noch auf den Kaiser zu. Er ritt ein paar Schritt weiter auf den Kamm des Hügels, um besseren Überblick zu gewinnen. In diesem Augenblick stießen die letzten Chasseurs der Stabswache zu uns, und auch die Schwadronen vom Dienst, denen der Kaiser bei seinem Aufbruch nicht Zeit zum Aufsitzen gelassen hatte, kamen nach und nach heran. Durch das Kampfgeschrei in die richtige Richtung gewiesen, warfen die beiden als erste heransprengenden Schwadronen die vordersten Kosaken über den Haufen. Die von dem Herzog von Istrien (Marschall Bessières) herangeführten, in kurzem Abstand folgenden beiden anderen Schwadronen kamen zur rechten Zeit, um ihren Kameraden zu helfen, die in hartem Kampf begriffen und von einem Schwarm von Feinden umringt waren. Es war inzwischen hell genug geworden, um die ganze Szene überblicken zu können. Die Ebene, die Straße wimmelte von diesen Kosaken. Es gelang der Garde, dem Feinde die Geschütze wieder abzunehmen und die wenigen gefangenen Kanoniere zu befreien. Dann warf sie die Kosaken über den Fluß zurück; aber wir

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