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Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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hatte, der ihnen Tee vorgesetzt hatte, als sie 1947 an seine Tür geklopft hatten, an die Vögel, die sie durch die Ritzen der Bretter beäugt hatten, mit denen der Kamin zugenagelt war, und an die junge Frau, die sie damals gewesen war, die ihre zweite Chance ergriff, an die Zukunft dachte und dem zu entfliehen suchte, was sie getan hatte – was auch immer das gewesen sein mochte. Oder hatte Dorothy auf dem Weg über die gewundene Einfahrt an das gedacht, was sich an jenem heißen Sommertag 1961 ereignet hatte, und daran, dass es unmöglich war, seiner Vergangenheit zu entfliehen? Oder war Laurel einfach nur sentimental? Waren die Tränen, die ihre Mutter still auf dem Beifahrersitz von Roses Auto vergossen hatte, darauf zurückzuführen, dass alte Menschen nun mal nah am Wasser gebaut hatten?
    Wie auch immer, der Umzug vom Pflegeheim hierher hatte sie offensichtlich ermüdet. Sie schlief fast das ganze Wochenende über, aß wenig und sagte noch weniger. Wenn Laurel an der Reihe war, am Bett ihrer Mutter zu sitzen, hoffte sie stets, dass sie sich rührte, dass sie die Augen aufschlug und ihre älteste Tochter erkannte, damit sie das vor wenigen Tagen unterbrochene Gespräch fortsetzen konnten. Laurel musste unbedingt wissen, was ihre Mutter Vivien Jenkins genommen hatte – das war der Schlüssel zur Lösung des Rätsels. Henry hatte die ganze Zeit recht gehabt mit der Vermutung, dass mehr hinter dem Tod seiner Frau steckte, dass sie das Opfer übler Machenschaften geworden war. Aber Laurel musste sich in Geduld üben, denn Dorothy schwieg. Es schien ihr, während sie die alte Frau so friedlich schlafen sah und die Gardinen sich in der leichten Brise bewegten, als ob ihre Mutter sich durch eine unsichtbare Tür an einen Ort zurückgezogen hätte, wo die Geister der Vergangenheit ihr nichts mehr anhaben konnten.
    Nur einmal, am frühen Montagmorgen, wurde Dorothy von den Schreckgespenstern heimgesucht, die sie in den vergangenen Wochen verfolgt hatten. Rose und Iris waren beide am Abend nach Hause gefahren, und so war es Laurel, die aus dem Schlaf gerissen wurde, über den dunklen Flur stolperte und an der Wand nach dem Lichtschalter tastete. Sie musste daran denken, wie oft ihre Mutter dasselbe für sie getan hatte, wie oft sie von einem Schrei im Dunkeln geweckt worden und über den Flur geeilt war, um die Ungeheuer zu verscheuchen, die ihre Tochter heimsuchten, ihr übers Haar zu streicheln und ins Ohr zu flüstern: »Ruhig, meine Kleine … ganz ruhig.« Trotz aller widersprüchlichen Gefühle, die sie neuerdings für ihre Mutter hegte, erfüllte sie es mit Genugtuung, dass sie jetzt Dorothy diesen Liebesdienst erweisen konnte, sie, die im Streit von zu Hause weggegangen war, die nicht da gewesen war, als ihr Vater starb, die sich ihr Leben lang nur sich selbst und ihrer Kunst verpflichtet gefühlt hatte.
    Laurel legte sich zu ihrer Mutter ins Bett und nahm die alte Frau liebevoll in die Arme. Dorothys langes weißes Baumwollnachthemd war nass geschwitzt von ihren Albträumen, und sie zitterte am ganzen Körper. »Es war meine Schuld, Laurel«, sagte sie immer wieder. »Es war meine Schuld.«
    »Schsch«, sagte Laurel. »Ganz ruhig, es wird alles gut.«
    »Es war meine Schuld, dass sie gestorben ist.«
    »Ich weiß, ich weiß.« Wieder musste Laurel an Henry Jenkins denken, wie er darauf beharrt hatte, Vivien sei gestorben, weil man sie an einen Ort gelockt hatte, den sie andernfalls nie aufgesucht hätte. »Ganz ruhig, Ma. Es ist alles vorbei.«
    Allmählich beruhigte sich Dorothys Atem, und Laurel dachte über die Liebe nach. Dass sie ihre Mutter trotz allem, was sie in letzter Zeit über sie erfuhr, immer noch so intensiv lieben konnte, schien ihr bemerkenswert. Anscheinend führten böse Taten nicht dazu, dass die Liebe starb; andererseits, wenn Laurel das zugelassen hätte, wäre die Enttäuschung vernichtend gewesen. Laurel erwartete keine Vollkommenheit. Sie war schließlich kein Kind mehr. Und sie teilte auch nicht Gerrys naive Überzeugung, dass Dorothy Nicolson, nur weil sie ihre Mutter war, auf wundersame Weise unfähig war, Böses zu tun. Ganz und gar nicht. Laurel war Realistin, sie wusste, dass ihre Mutter auch nur ein Mensch war und nicht wie eine Heilige durchs Leben gegangen war. Sie hatte geliebt und gehasst, und sie hatte Fehler gemacht, die sich nicht wiedergutmachen ließen …
    »Er ist zu mir gekommen.«
    Die schwache Stimme ihrer Mutter riss Laurel aus ihren Gedanken. »Was hast du

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