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Die Vermessung der Frau

Die Vermessung der Frau

Titel: Die Vermessung der Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regula Stämpfli
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Sprache als menschliche Fähigkeit mundtot gemacht. Die Gene sprechen, während die Menschen verstummen.

Als Christopher Kolumbus 1492 gegen Westen segelte, war die Welt noch ein Mysterium. Auch der menschliche Körper barg viele Geheimnisse – vor allem der weibliche. Dies änderte sich schlagartig mit dem Teleskop. Sie haben richtig gelesen. Teleskop! Am Anfang der Moderne stand also nicht etwa ein erboster Martin Luther, der die katholische Kirche fast zu stürzen verstand, sondern ein ... Messinstrument. Dieses unscheinbare Ding vermochte den Himmel und mit ihm Gott einstürzen zu lassen.

    Im Vergleich zum Teleskop wurden Gott und die Menschen ziemlich schnell instrumentenschwach. Denn die Welt stützt sich auf ihre Bilder – das Teleskop stellte diese Bilder sprichwörtlich auf den Kopf. Die Welt als fixe Scheibe musste der Welt als rotierende Kugel weichen. Tja. Im Vergleich zum Teleskop ist das heutige CERN in Genf zwar tausendfach größer und komplizierter, doch wesentlich unbedeutender. Denn das CERN wird, obwohl es nach den Gottesteilchen sucht, die mit Gott wenig, dafür mit den gottverdammten Teilchen des Physikers Higgs alles zu tun haben, die Welt und den Himmel nicht so erschüttern wie dies eben das Teleskop vermochte.

    Wegen dieses schlichten Messinstruments stürzte also der Himmel ein. Seitdem ist die Erde kein Mittelpunkt mehr, und es gibt berechtigte Zweifel daran, ob Gott noch im Himmel wohnt und wenn ja, wie er denn heißt und ob es die Erde wirklich auch gibt. Wenn also Instrumente Götter stürzen können, wie muss es dann den Menschen ergehen?

    Sie sehen: Wir sind mitten in unserem Thema. Wer meint, Messinstrumente und Zahlen seien unschuldig, wird nach der Lektüre dieses Buches ganz andere Geschichten erzählen können. Das Teleskop brachte ja nicht nur ein neues Menschen- und Weltbild, sondern es formt – je länger es existiert – umso mehr Menschen und deren Weltsicht neu.

    Für alle philosophischen Insider schlage ich deshalb folgende bahnbrechenden Werke mit etwas veränderten Titeln vor: »Die Welt als Vorstellung und als Reagenzglas« (nach Schopenhauer) oder: »Die Kritik der reproduktionsmedizinischen Vernunft« (nach Immanuel Kant) oder: »Die Gene schützen das Recht« (nach Carl Schmitt) oder: »Zwei Abhandlungen über die Regierung der Synapsen« (nach John Locke). Statt »Die Traumdeutung« von Sigmund Freud wäre entsprechend »Die Samenbank-Deutung« vorzulegen.

    Sie wollten ein Buch über Botox und Hormone und anderen Irrsinn lesen und landen bei den großen Philosophen? Recht so! Denn es ist schon längst Zeit, Schönheit, den weiblichen Körper sowie Frauenrechte nicht einfach nur unter den üblichen Verdächtigen wie Schönheitschirurgie, Nasalbiotropie, Prostitution, Sexismus, Kachelmann, Porno, Wahlrecht, »Sex and the City« thematisch anzuschauen, sondern mir scheint es sinnvoll, auf ein größeres Bild hinzuweisen.

    Die Erfindung des Teleskops veränderte also die Welt und damit auch den Menschen. Das Instrument verrückte Menschen- und Weltbilder – seitdem beginnen sich Maschine und Mensch auch immer mehr zu gleichen. Das Teleskop schaute nicht nur in den Himmel, sondern auch in den Menschen. Das hatte große Folgen, vor allem für die Frauen. Denn sie waren die ersten, die von allen Maschinen sofort vermessen wurden. Fast könnte man meinen, alle technischen Hilfsmittel wurden von den Männern nur deshalb erfunden, um die Frauen besser in den Blick zu bekommen, besser zu erfassen, sprichwörtlich besser
in den Griff zu kriegen. Nicht erstaunlich, dass die Männer über die Jahrhunderte hinweg vor allem der weibliche Unterleib interessierte – mit entsprechend verheerenden Folgen, wenn Sie an die hohe Sterblichkeitsrate der Gebärenden denken, die Männer und Technik den Menschen brachte. Besonders der weibliche Unterleib lag im Fokus der Vermesser.

    Messinstrumente sind voller metaphysischer Tricks. Das Teleskop stürzte den Himmel so gründlich wie kein Instrument vor ihm. Mit dem Teleskop wurde alles relativ, der Zweifel eroberte die Welt. Denn wenn der Himmel schon gestürzt werden kann, wird es wohl mit allen anderen Sicherheiten auch nicht so weit her sein!

    Das Teleskop bildete den Anfang aller von Männern erfundenen und heißgeliebten Spielzeuge und technischen Hilfsmittelgadgets, die sie über den Verlust, keine Kinder auf die Welt bringen zu können oder auch über ihr Unvermögen, multiple Orgasmen zu erleben, hinwegtrösten sollten.

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