Die Vermessung der Frau
Rechner übergeben werden. Gewinnen werden dann all diejenigen Werke, die die höchste Wortzahl oder die häufigste Zitierung aufweisen. In einem solchen Prozess gewinnen nur Modelle, aber nie reale Ideen. Sie sehen, wie abwegig dies wäre. Doch solche Absurditäten sind mittlerweile an den Spitzenuniversitäten durchaus Alltag. Nicht der Inhalt
der publizierten Aufsätze beispielsweise gibt Ausschlag für eine Professur, sondern die Anzahl derselben. Angesichts solchen Schwachsinns erstaunt es nicht, dass keiner der alten, namhaften Denker es an irgendeine Spitzenuniversität schaffen würde. Immanuel Kant publizierte in 10 Jahren genau ein Werk!
Dieser Prozess des Vermessens, der eben mit dem Teleskop so richtig an speed gewann, findet sich überall und führt direkt zu einer Entsinnlichung der Welt, der Menschen und der Liebe. Wer die Welt nur noch vermisst, schafft sie ab. Auch Google Earth tut so, als könnten wir am Computer die Welt sehen. Klar doch sehen wir die letzten Winkel, doch wir werden nie wissen, wie es sich dort, wo wir hinschauen, anfühlt, wie es riecht, wie die Menschen reden und wie wir uns wohl dort fühlen würden. Auch wer den Menschen nur noch in Jahrgangs-, Kilo- und Zentimeterkategorien erfasst, vermisst, auf einem Bild zeigt und als Körper versteht, vergisst sein Charisma, seinen Charme, seine Lebendigkeit. Wer in der Liebe vor allem die Orgasmushäufigkeit erfasst, die klare Ausmessung der Säfte und Herzfrequenzen untersucht, stürzt die Erotik in den Abgrund. Wer die Welt, den Menschen und die Liebe vermisst, schafft die Welt, den Menschen und die Liebe ab. Doch wem nützt das?
Wohl deshalb beschäftigt sich die Medizin heutzutage so gerne mit Leichen, denn ihnen können Teile entnommen und verpflanzt werden. Wohl deshalb erfreuen sich auch alle Pathologie-Thriller im Westen ungeheurer Beliebtheit. Es ist fast so, als könnten die Menschen nicht genug daran erinnert werden, dass sie nicht nur am Ende ihres Lebens, sondern als lebendige Funktion vor allem als stumme Leiber ihr Leben fristen sollten. Mit menschlicher Urteilskraft hat das wenig zu tun.
Wie populär solch abstruse Logik ist, zeigt die US-amerikanische Serie »Dr. House«. Dr. House ist ein mittelalter, skurriler, hochintelligenter, einsamer, Prostituierte frequentierender
und bis zur Schmerzgrenze ehrlicher Neurologe. Er hält sich der Liebe fern, hasst Patientenkontakte, menschliches Geschwätz, soziale Anlässe, kurz, alles, was »normale« Ärzte und Menschen in ihrem Leben zusammenhält. Sein Menschenbild besteht aus einem Satz: »Jeder Mensch lügt«. In House’s Weltvorstellung spricht einzig der Körper die Wahrheit. Körperliche Symptome geben Auskunft über sexuelle Erlebnisse, unerlaubte Drogen, gestörtes Essverhalten, Familiengeschichte, Arbeitsplatz und vieles mehr. Nicht auf Worte, sondern auf den Körper ist Verlass.
Die endgültige Wahrheit manifestiert sich in der Leiche.
House ist für mich der Prototyp des modernen Mannes, des modernen Menschen. Sein Umgang mit Frauen beschränkt sich auf Prostituierte, da er die echten Frauen nicht kriegen kann und wenn, diese dann brüskiert, zurückstößt, verletzt. House braucht Distanz, Abstand und Kontrolle zu Menschen. Er will nichts von sich preisgeben, weiß aber über seine Mitmenschen alles. Er ist einsam, aber voller Ironie. Er ist beruflich ein Genie, versagt jedoch sofort bei menschlicher Nähe. Dr. House sieht in der Welt nur, was der Fall ist. Seine Welt ist die Materie, die via Endoskopie, Laboranalyse oder Tomographie Geschichten erzählt. Die Serie lebt von der detektivischen Kraft, die das Geheimnis »Krankheit« lüften muss, um den Patienten am Leben zu erhalten. Dabei ist House jedes Mittel recht (so lässt er seine Assistenzärzte regelmäßig in die Wohnungen der Patienten einbrechen), um die Wahrheit zu entdecken. Dr. House entdeckt den Menschen nur via Biologie, alles andere ist ihm fremd. Menschliche Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist bei House ausschließlich unter medizinischen sowie biologischen Gesichtspunkten relevant. Sprechender könnte die filmisch brillant umgesetzte populäre Verdinglichungsphilosophie der Medizin von heute nicht sein.
Wie früher die Gesellschaftsromane, erzählen uns eben heute die Kinofilme und Serien vom dem, was wir eigentlich nicht wirklich sehen, doch glauben sollten.
Noch deutlicher ist in diesem Punkt die Serie »Six Feet Under«, die in der deutschen Version geschickt mit »Gestorben
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