Die Vermessung der Frau
wieder und wieder zeigt: Sie genügen nicht.
Frauen werden in unserer Zeit vorwiegend als Körper gespiegelt. Wussten Sie beispielsweise, dass Frauen in den Medien achtmal höhere Chancen haben, mit Bild in einer Zeitung zu erscheinen statt mit Namen, Titel und Funktion?
Ich hatte diesbezüglich ein sprechendes Erlebnis. 1999, als ich mit meinem jüngsten Sohn schwanger war, wurde ich vom Schweizer Fernsehen in meiner Funktion als Politologin zu den kommenden Wahlen im Herbst interviewt. Wie es so ist, gab ich einige Hintergrundbilder ab, in welchen ich, schwanger, schön, voller Lebensfreude, an den damaligen Wahlplakaten vorbeiging.
Ich schenkte dann dem jüngsten meiner drei Söhne das Leben, und die Zeit ging ins Land. Doch als in den Jahren 2002 bis 2004 in der Schweiz die Einführung der Mutterschaftsversicherung heiß diskutiert wurde ( ja, Sie haben richtig gelesen: Mutterschaftsschutz gibt es erst seit dem 1. Januar 2005, 34 Jahre nach der Einführung des schweizerischen Stimm- und Wahlrechtes ...), mussten selbstverständlich im Schweizer Fernsehen gute Hintergrundbilder zum Thema »Frau, Mutter, Urlaub, Schwangerschaft und Politik« gefunden werden. Wie es dann so kam, fanden TV-Bildredakteure die Bilder von 1999. So lief ich auf einigen TV-Erzeugnissen auch 2002-2004 ständig als attraktive
Schwangere durch die Schweizer Fernsehkanäle. Da ich damals noch in Brüssel wohnte, hätte ich von meinem Glück nichts gemerkt, hätten mich nicht einige Freunde entsetzt angerufen und gefragt: »Bist Du schon wieder schwanger?«
Meinem ebenso angesehenen Politologiekollegen wäre das nie passiert. Nicht nur, weil er nicht schwanger werden kann, sondern weil es niemandem in den Sinn kommen würde, einen Experten unter der Bild-Kategorie »Mann« im Archiv zu verstauen. Männer sind in den Medien immer Individuen. Sie sind nicht Sohn von, Ehemann von, Vater von, sondern sie sind einfach sie selbst, während Frauen immer als Kollektive angesehen und behandelt werden. Haben Sie jemals schon von »Männerliteratur des 18. Jahrhunderts« gelesen? Eben.
»Der Mann sieht, die Frau wird gesehen«, brachte Simone de Beauvoir diesen Zusammenhang auf den Punkt. In zahlreichen Studien konnte ich belegen, wie statt Argumenten bei Politikerinnen das körperliche Erscheinungsbild in den Vordergrund gerückt wird. Auch wissenschaftliche Befunde zu Frauen gehorchen diesem Gesetz: Frauen haben gewissen Bildern zu entsprechen, und diese klischierten Wahrheiten werden dann auch erforscht.
Als ich mich schließlich bei der Schweizer Tagesschau beschwingt, ironisch und lustig beschwerte, dass hier offenbar ein Fehler passiert sei, war meine Karriere als Expertin bei dem betreffenden Sender beendet. Denn was nicht sein durfte, war die Diskussion über den Subjektstatus der Frau im Bild. Seit dieser Zeit habe ich etwas Verständnis für die böse Königin, die über dem Diktum des Spiegels verzweifelt. Denn sie weiß: Mit dem Spiegel zu argumentieren, kann die eigene Karriere gefährden.
Frauen werden also gerne gespiegelt, gezeigt, vermessen, kommentiert, aber hallo! Sie werden nur ungerne gehört. Vor allem, wenn sie reden, ohne sich ständig im Spiegel zu versichern, dass sie auch reden dürfen.
Frauen sind Körper, Männer Experten. Frau fragt, Mann antwortet. Moderatorinnen erinnern an die Nummerngirls alter Revuen, modern aufgepeppt. Ist Ihnen noch nie aufgefallen, dass Frauen, wenn sie denn überhaupt einmal etwas in Diskussionssendungen sagen dürfen, das nur entweder aufgrund ihres Amtes oder aufgrund des expliziten Frauenthemas tun? Oder erinnern Sie sich daran, einmal eine Frau zu Wirtschafts- oder Wissenschaftsthemen als Expertin in einer Talkrunde gesehen zu haben? Es ist offenbar ein Naturgesetz: Männer reden ständig zu allem Möglichen, ob sie nun Ahnung haben oder nicht, Frauen höchstens zu Frauenthemen oder sie reden, weil nur sie eingeladen werden konnten ... als Kanzlerin beispielsweise.
Sie glauben mir nicht? Hand aufs Herz! Wieviele zeitgenössische Denkerinnen und Expertinnen kennen Sie? Finden Sie innerhalb von fünf Minuten mindestens zehn Philosophinnen? Nicht? Heißt das, es gibt sie nicht – oder sie werden uns einfach nie in den Medien vorgestellt?
Wann wurde jemals eine Polit- oder Philosophiesendung im deutschen Fernsehen von einer Akademikerin und nicht von einer adretten Moderatorin geleitet? Richard David Precht schaffte es in seinen ersten drei Sendungen auf ganze drei Männer als
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