Die Vermessung der Frau
Talkgäste. Ich bin gespannt, wie lange es dauern wird, bis er eine Frau zu einem grundlegenden Thema wie Gerechtigkeit, Freiheit, Sicherheit und nicht zu Gleichstellung einlädt.
Der langjährige Leiter des »Philosophischen Quartetts«, Peter Sloterdijk, brachte es in seinen zehn Jahren gerade auf eine Handvoll Diskutantinnen – die dafür immer gleich zwei- oder dreimal in seiner Sendung sitzen mussten. Elke Heidenreich musste die quotenstarke Sendung »Lesen!« wegen ihrer bissigen Fernsehkritik am eigenen Sender räumen. Dabei hatte sie nur das getan, was Marcel Reich-Ranicki sogar vor Millionenpublikum gewagt hatte. Doch wenn zwei dasselbe tun, ist das noch nicht das Gleiche – schon gar nicht für eine Frau. Vorbei
sind die Zeiten von anno 1964, als Günter Gaus sein nach eigener Einschätzung »bestes« Gespräch mit der Philosophin Hannah Arendt führte. Falls Sie Zeit haben, schauen Sie auf einem Videoportal im Internet einmal rein, und Sie werden realisieren, wie Frauen ohne Wenn und Aber nicht Geschlecht, sondern Mensch sein könnten.
Frauen in den Medien werden auf Stereotype festgelegt. Besonders beliebt ist die Zuordnung nach Zivilstand von berühmten Frauen. Die Bundeskanzlerin wandelte sich so von »Kohls Mädchen« zu »Mutti Merkel«. Ist so etwas bei Rosamunde Pilcher noch logisch, ist es in gesellschaftlichen Debatten für Frauen verheerend.
Und das ist beileibe kein typisch deutsches Phänomen. Selbst die alte Tante BBC hat keine einzige Starpolittalkerin. Keine einzige Frau mit einer großen Samstagabendshow! Und die lustigste aller Informationssendungen »Have I got News for you« wird nur ab und an von einer Sportmoderatorin geleitet. Die BBC ist bezüglich Frauen als Präsentatorinnen im vorletzten Jahrhundert steckengeblieben. Dies müsste das deutsche Publikum nicht weiter interessieren, würden die Intendanten der öffentlich-rechtlichen Anstalten hierzulande nicht ständig die BBC oder auch die unendlich sexistischen US-Medien zum Vorbild nehmen. Deshalb beschränken die Klischees der Medien- und Wissenschaftskultur eines »Frauen gleich Körper« und »Mann gleich Geist« viele Freiheiten und Sichtbarkeiten eigenständiger Menschen. Dieser Medienwahnsinn findet weltweit statt. Denn die Verballhornung des gesunden Menschenverstandes passiert allen Menschen auf vielen Ebenen, die durchweg einer Vermessungslogik (Quoten, Ranglisten, Ratings etc.) huldigen. Mehr und mehr wird so Quantität mit Qualität, Vielfalt durch Singularität ersetzt.
Die Spiegelgeschichte von Schneewittchens böser Stiefmutter ist also in unserer Medienkultur mehr als gegenwärtig. Deshalb streben die meisten Menschen bis zur eigenen Selbstvernichtung
ebenso nach Schönheit, während die böse Königin ein Mordkomplott vollzieht.
Wohin wir auch blicken, spiegelt uns ein gephotoshopter Schönheitswahn entgegen, den selbst einen stolzen Pfau mit niedergeschlagenem Gefieder frustriert von dannen schleichen lässt.
WAS PASSIERT DA EIGENTLICH?
Der Verstand der Menschen ist in einem Menschenbild, dem Spiegel der bösen Königin, eingesperrt worden. Es ist ein Menschenbild, das sich nur noch am Körper orientiert. Und allein der Körper wird dann zur wegweisenden Instanz. Der eine Körper muss dann mit dem anderen Körper konkurrieren. Das menschliche Selbst ist zum Anbieter körperlicher Vorzüge geschrumpft.
Das ist ebenso krank wie sich die böse Königin im Schneewittchen verhält. Auch sie gibt gerne ihren Verstand im Umkleideraum von Fitnessstudios und im OP-Saal von Schönheitschirurgen ab, wären die im Märchen schon »on offer« gewesen. »Menschen sind in der Garderobe abzugeben«, meinte auch schon Kurt Tucholsky.
Deshalb folgen die Frauen – nicht unähnlich der bösen Königin – wie Schafe den Strömungen des Zeitgeistes – dem heutigen sprechenden Spiegel. Die Frauen hungern sich auf Size Zero, vergrößern oder verkleinern Brüste oder Po und lähmen sich mit ihrem ängstlichen Blick auf die Seiten der Trendzeitschriften.
Sind Sie dick oder dünn?
Groß oder klein?
Hübsch oder hässlich?
Fit oder lieber auf dem Sofa?
Reden Sie noch oder kommunizieren Sie schon?
Wie die böse Stiefmutter im Märchen kann sich die nach Anerkennung und Schönheit Strebende zurücklehnen, sie kann niemals innehalten. Denn um sie herum schläft die Konkurrenz nicht, sie lässt im knallharten Kampf um ihre gesellschaftliche, vor allem auf Schönheit und Gesundheit basierende Anerkennung nichts aus.
Weitere Kostenlose Bücher