Die Vermessung der Frau
bitte liegt – außer graduell – der Unterschied zwischen Haare färben, Fingernägel lackieren, Zahnspangen einsetzen, Muttermale lasern und dem schon etwas umstritteneren Fettabsaugen, Organtransplantationen, Silikonbrüsten und Botox-Mimik? In einem derartig gleichgültigen Menschenbild, so meine Antwort, gibt es ja eigentlich auch keine Unterschiede zwischen Rind-, Hunde- und Menschenfleisch, also: Weshalb essen wir denn kein Menschenfleisch?
Hallo? Eine gemeinsame Welt gründet eben nicht auf einer Gleichgültigkeit, auch nicht auf einer abstrakten Vernunft oder einer gemeinsamen Interessenlage (»Alle tun das doch«), sondern auf bestimmten Kompetenzen, die jedem Menschen mitgegeben werden müssen, die helfen, Tatsachen richtig zu beurteilen und menschliche Urteilskraft zu üben.
Die Informationspflicht aller werdenden Mütter in den USA ist beispielsweise schon so weit gediehen, dass diskutiert wird, ob Mütter, die sich wegen schlechter Ernährung (mangelnde Folsäure) und ungesunden Lebenswandels (Rauchen, Alkohol) vor ihrem Nachwuchs selbst zu verantworten haben und von allen Versicherungsleistungen ausgeschlossen werden sollen – mit Ausnahme der Privatversicherungen selbstverständlich. Ebenso versicherungs-unmöglich soll der Fall des Down-Syndroms (Mongolismus) werden.
So verwandeln sich gegenwärtige Menschenbilder schnell in ein Todesurteil mit Ultraschallbild. Selbstverständlich redet – außer den religiösen Fundamentalisten, denen es bei diesen Fragen nur um die Verfügbarkeit der weiblichen Reproduktion geht – niemand von einem Todesurteil, sondern von einem Schwangerschaftsabbruch, der zudem nicht obligatorisch, sondern eine »freie« Entscheidung der betroffenen Eltern ist. Verstehen Sie mich nicht falsch. Abtreibung muss und soll möglich sein und für die betroffenen Mütter möglichst schmerzlos. Doch ebenso sollten wir uns als Menschen erlauben, Menschen willkommen zu heißen, deren körperliche Beschaffenheit völlig anders ist. Naiv? Wahrscheinlich. Dass dies jedoch zur täglichen Praxis der Menschenkonstrukteure von heute gehört, zeigen die Zahlen zum Mongolismus. Schon 2006 titelte das Magazin der Süddeutschen über Down-Syndrom-Kids: Vom Aussterben bedroht.
Sie sehen, wie der anfänglich harmlos scheinende Imperativ des Schönheits- und Gesundheitshandelns zu einer Religion der menschlichen Dingwerdung mutieren kann. Es ist höchste Zeit für kluge Fragen und Antworten. Nicht die Frage nach dem Unterschied zwischen privatem Schönheitshandeln ist entscheidend, sondern die Frage, inwiefern wir schon auf dem Weg zu einer mit finanziellen Anreizen gestalteten Biodiktatur sind.
Die menschliche Kälte, die solche Diskussionen begleitet, ist für noch nicht ganz hartgesottene Menschenmechaniker ziemlich erschütternd.
Im »Bildnis des Dorian Gray« beschreibt Oscar Wilde, wie sich der Held der Geschichte in sein eigenes Bild so verliebt, dass er sofort bereit ist, seine Seele aufzugeben, nur um seine griechisch-göttliche Schönheit auf immer zu bewahren. Das Porträt, sein Bild will er nie ändern. Er geht einen Pakt ein, der ihn zum hässlichsten Menschen der Welt macht, während er äußerlich ewig schön, jung und verführerisch bleibt. Nur das Bildnis von Dorian zeigt die Abgründe. Das Bild zeigt über die Jahre dann ein Porträt eines verrotteten, alten, bösartigen Mannes. Das Bild auf dem Dachboden zeigt Dorian Grays wahre Natur: Es ist ein Porträt eines bitteren Mannes, der zu keinerlei Liebe fähig ist. Doch Dorian kann mit seiner glatten Oberfläche ein Leben führen, das kein Mitleid, kein Mitgefühl und keine Menschlichkeit kennt. Ein zerstörerischer Engel. Der Roman erzählt von einer unfassbaren Kälte, und wissen Sie was? Schon öfters sind mir weibliche und männliche Dorian Grays auf Kongressen begegnet, denken Sie an Lisa!
Thema: Menopause. Während normalen Beobachterinnen und Beobachtern in westlichen Demokratien sofort auffällt, dass sich Frauen im Alter in jeder Hinsicht (physisch, emotionell, intellektuell) wirklich besser halten als die gleichaltrigen Männer, wird ein Mythos des Mannes im besten Alter und der Frau, deren Datum abgelaufen ist, kreiert.
Die ehemalige schwedische Vizepräsidentin der Europäischen Kommission hatte an ihrer Tür den Spruch hängen: »Do you think my hot flushes add to Global Warming?«
Leider sind derart humorvolle Zugänge zum Älterwerden der Frauen selten. Besonders in den angelsächsischen Medien wird
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