Die Vermessung der Frau
auch die sich objektiv nennende »natürliche« Wissenschaft gerade in punkto Geschlechtertrennung lieber an der herrschenden Machtverteilung als an logischen Sequenzen orientiert. Deshalb: Das nächste Mal, wenn Ihnen wieder irgendeiner etwas über Studien erzählt, in welchen »per Zufall« Frauen als »corpus delicti« (Mangelkörper, gefallener Körper) charakterisiert werden, seien Sie vorsichtig. Und schicken Sie diese Beispiele an mich. Für eine politische Philosophin gibt es fast keinen größeren Genuss als den, die Naturwissenschaftler ab und zu daran zu erinnern, dass Denken immer noch stärker ist als Zählen!
Vor Jahrzehnten schrieb der Soziologe Max Weber von der »Entzauberung der Welt.« Damit beschrieb er unsere Welt, in der wir auch gedanklich festsitzen. Wir sind davon überzeugt, dass es seit der Erfindung der Technik und Forschung keine geheimnisvollen und unberechenbaren Mächte mehr gibt, denen wir unterworfen sind. Damit binden wir uns aber unbewusst an eine vormoderne Welt mit Inszenierungen wie einen Valentinstag, um uns darüber hinwegzutrösten, dass wir in einer entsinnlichten Welt leben. Doch Kitsch befriedigt die Sinnlichkeit viel zu wenig, um sie schön, wahr und gut werden zu lassen. Unsere Welt ist steril geworden. War die Welt vor Max Weber noch ein geheimnisvolles Varieté, das uns Zuschauer in ein magisches Märchenreich entführte, so gleicht unsere heutige Welt einer billigen Zauberbude. Bunte Knalleffekte täuschen darüber hinweg, dass sie nur oberflächlich sind und keine Magie mehr verbreiten.
Diese Entzauberung manifestiert sich am sichtbarsten und am grausamsten in denjenigen Bereichen unseres Fühlens, in denen wir eigentlich am meisten auf Geheimnisse angewiesen sind: in der Sexualität, in der Liebe und in dem Begehren. Diese sind ein Dreigestirn menschlichen Seins und menschlicher Intimität und sind aufeinander ebenso angewiesen wie das Kleinkind auf Geborgenheit.
Durch die extreme Überhöhung alles Sexuellen werden das Begehren und die Liebe auf reine Statistenplätze verwiesen. Zwar wird die Liebe an allen Ecken und Enden als das Erstrebenswerteste propagiert, aber in Wirklichkeit lässt sich mit ihr einfach viel weniger Geld verdienen als mit dem Sex. Deshalb liegt der Fokus in der heutigen Zeit ganz klar und gewollt auf
dem menschlichen und vor allem dem weiblichen Körper. Überall verkaufen weibliche Körper oberflächliche und inszenierte Verführung, und indem sie dies tun, bringen sie der eigentlichen Verführung den Todesstoß. Die Posen, gedacht für intime Momente, werden mit den abertausenden identischen Bildern von Werbeplakaten für Eis, Autos, Lebensversicherungen und Supermärkte uniform verflacht und sind schon so oft gesehen, dass sie nicht mehr wie ein Geheimnis inszeniert werden können.
In der Pornografisierung des Alltags manifestiert sich die herrschende Ideologie der geölten, vermessbaren und immer funktionierenden Körpermaschinen Frau und Mann am sichtbarsten. Wenig wird bedacht, dass Porno mit der Erotik ungefähr so viel zu tun hat wie die Leiche mit dem lebendigen Menschen. Dies ist kein Plädoyer gegen das Begehren, welches einige erotische Filme auslösen kann, welche auch Frauen gefallen, sondern dies ist eine klare Verurteilung der Darstellung sexueller Handlungen, die allein auf den Körper und nicht auf den Kontext, die Sprache, die Sinnlichkeit des Aktes ausgerichtet sind. Die erotischsten Darstellungen sind oftmals die, welche nicht gezeigt, sondern sich aus dem Kontext ergeben und mit Begehren angedeutet wird.
Der Kulturwissenschaftler Byung-Chul Han schreibt in seinem Buch »Agonie des Eros«, in dem er sich für den Eros als wichtigstes Mittel gegen die gesellschaftliche und individuelle Depression ausspricht, folgende wichtige Sätze: »Der Porno gilt dem ausgestellten bloßen Leben. Er ist der Gegenspieler des Eros. Er macht die Sexualität selbst zunichte. In dieser Hinsicht ist er sogar wichtiger als die Moral.« (Byung-Chul Han, Agonie des Eros, S. 40) Der französische Denker Jean Baudrillard hat dies schon 1991 formuliert: »Der Porno bezieht seine Anziehungskraft aus der Vorwegnahme von totem Sex in der lebendigen Sexualität.« (Jean Baudrillard, Der symbolische Tausch und der Tod, S. 64) Byung-Chul Han sieht die Obszönität des Porno nicht
in einem »Zuviel an Sex«, sondern darin, dass »er ohne Sex ist.« Die Erotik wird durch den Porno in den Schmutz gezogen, banalisiert. Erotik lebt vom Geheimnis,
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