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Die Vermessung der Frau

Die Vermessung der Frau

Titel: Die Vermessung der Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regula Stämpfli
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ein Frauenbild kreiert, das nur noch pathologisch genannt werden kann. Die Französinnen sind diesbezüglich viel lockerer, und sie haben es auch leichter. Vergleichen wir die Frauenzeitschriften in Deutschland und in Frankreich, stellen wir fest: Frauen in Deutschland kommen in die Menopause, Frauen in Frankreich haben junge Liebhaber.

    Alter als Erfahrung, Alter als menschliches Erleben ist auch im gängigen Gesundheitssystem nicht als Bild vorhanden. Denn da werden die Alten mittlerweile als Kategorie und ihre Biologie als Programm behandelt. »Die Alten« sind diese schwammige, kostenverursachende, eher lästige Masse, die es in möglichst altersgerechten Behausungen möglichst lange am Leben zu erhalten gilt. Sie werden in schönen Altersheimen gut versorgt und entlasten dabei ihre Kinder von der aufwändigen, manchmal nervtötenden und Arbeitsstunden verschlingenden Pflege. Der Wortlaut der Tagesschau-Meldungen: »Wir werden
immer älter« ist schon uniform. Wo bleibt das Bild: »Die Menschen müssen heutzutage nicht mehr jung sterben«?

    Viele Frauen fühlen sich wie die biblische Sarah, obwohl sie sich ab 40 Jahren meist besser fühlen als mit 20. Doch das innere Bild korrespondiert nicht mit dem äußeren. Die Jahresfixierung ist Teil der Eroberung des Menschen als Bild, das Leben nur noch als Jungfleisch definiert. Es wäre höchste Zeit, die kulturelle Pathologisierung, die sich in Symptomen wie Kopfschmerzen, Zahnfleischschwund, Wallungen, Rückenschmerzen, Nachlassen der Knochendichte, trockene Schleim häute, glanzloses Haar etc. zeigt, statt medizinisch, psychologisch und philosophisch zu behandeln.

    Aus neueren medizinischen Studien wissen wir, dass Menschen sensibel reagieren, wenn man ihnen erzählt, sie seien für gewisse Krankheiten besonders anfällig. Die flächendeckenden medialen Diskussionen um die Menopause und speziell um die Osteoporose könnten Frauen Beschwerden empfinden lassen, die sie ohne mediale Verbreitung vielleicht gar nicht hätten oder unter deren Symptomen sie kaum leiden würden. In den letzten Jahrzehnten wurden beispielsweise Männer ohne jegliche Beschwerden, aber mit einem schlechten medizinischen Prostatabefund, operiert und somit ihrer sexuellen Potenz bis ans Ende ihres Lebens beraubt. Heute stellt man fest, dass hier eine eindeutige Überindikation stattfand.
    Natürlich geht es Medizinern in erster Linie immer nur um das Wohl der betroffenen Frauen. Doch die fehlende soziale, kulturelle und philosophische Einbettung gefeierter, alter Weiblichkeit macht Frauen krank, die nie krank sein sollten. Frauen in der Menopause sollen sich schlecht fühlen, und sie werden seit Jahren als gut zahlende Pharmakonsumentinnen geschickt um ihr Geld gebracht.

    Die Hormontheologie hat diesbezüglich in den letzten 50 Jahren perfekte Arbeit geleistet. Frauen sind so weit pathologisiert,
dass sie ihr hormonelles Durcheinander nicht mehr nur vorgeschrieben bekommen, sondern tatsächlich auch erleben. Für variationsreichen Selbsthass waren Frauen schon immer sehr ansprechbar.
    Verstehen Sie mich nicht falsch. Selbstverständlich fühlen sich die meisten Frauen in der Menopause wahrscheinlich genau so, wie ich dies beschreibe, und erwiesenermaßen spielen die Hormone manchmal verrückt. Doch ich wehre mich dagegen, Frauen ständig als Ort des Verbrechens zu charakterisieren:

    Die französische Feministin Luce Irigaray zeigt in ihrem 1980 erschienenen Buch »Speculum«, wie sich nicht nur die Medizin, sondern auch die Philosophie des menschlichen, vor allem des weiblichen Körpers bemächtigt. Dabei zeigt Irigaray, dass sämtliche Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Körpern nicht als Unterschiede, sondern als Mehr-, respektive Minderwerte beschrieben werden. Im Vergleich sind Frauen immer weniger. Frauen sind kleiner, leichter, haben weniger Gehirnmasse, weniger Muskeln, kleinere Geschlechtsorgane usw. Der weibliche Körper ist in dieser Herrschaftslogik, die sich in den Medien überall und unreflektiert verbreitet, deshalb immer weniger. »Der weibliche Körper wird in einem Vergleich zum corpus delicti, dessen Verbrechen darin besteht, ›weniger‹ Körper zu sein, als die Norm es gebietet«, meint Philosophieprofessorin Annemarie Piper.
    Deshalb ist es höchste Zeit, die Menopause als Politikum und nicht nur als individuelle »Störung«, »Unausweichlichkeit« und relativ peinlich, privat zu behandelnde Krankheit zu diskutieren. Denn dass die Wechseljahre für Frauen

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