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Die Vermessung der Frau

Die Vermessung der Frau

Titel: Die Vermessung der Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regula Stämpfli
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unsere Errungenschaften werden regelmäßig minimiert und verschwiegen.«

    Der tödliche Mix von Designer-Kleiderstangen und Size Zero ist offenbar verführerischer als ein Croissant zum Frühstück im Bett mit dem Liebsten. So gibt auch eine Mehrheit von Frauen an, sofort auf Sex zu verzichten, wenn sie dadurch garantiert schlank blieben. Allein das Konzept einer derartigen Umfrage sagt eigentlich schon alles darüber aus, wohin der Mainstream die Frauen offenbar führen will.

Der Körperkult ist in der westlichen Welt der Ersatz für den Wegfall der traditionellen Religionen. Die Menschen von heute müssen ihr Leben via Gnade der Geburt und harter Schönheitsarbeit »erkämpfen«. Die Sinnsuche findet in der Heiligsprechung des Körpers eine allgemeine Akzeptanz. Dies nicht nur bei Fitnessgurus oder Marathonsüchtigen, sondern auch bei den Medizinern, Gesundheitskampagnen und allgemein »vernünftigen« Menschen, die wissen, was »dem Menschen« wirklich guttut. Der Körper als Religion bietet gegenüber anderen Religionen zudem den Vorteil, dass dieser Glaube nicht gottgegeben, sondern jeden Tag neu gestalt- und formbar ist. Im Namen der Schönheit, der Gesundheit, der Körper legen sich deshalb Millionen von weiblichen Menschen (einige schon als Kids, Teenager und erwachsene Frauen) unter das Messer. Zeit- und kostspielig werden so Schamlippen verkleinert, Gesichtslippen aufgeplustert, Nervengifte ins Gesicht gespritzt, literweise Fett abgesaugt. Attraktiv ist nur noch der Körper – deshalb redet Natasha Walter davon, dass junge Frauen nur noch schön, aber nicht intelligent sein wollen. Dass das nicht einfach »schön« oder gar »normal« ist, sondern in den Körper eingeschriebene Politik, sollte nun jeder klar sein. Ist es aber nicht, und so kriegen wir durch eine kassenklingelnde Industrie ständig Stolpersteine auf unseren Weg zur Selbstwerdung gelegt.

    Wie Frauen mit sich und ihrem Körper umgehen und welche Formen sie aufweisen, ist also nicht in erster Linie biologisch und durch freie feministische Wahl bestimmt, sondern durch unreflektierte Macht.
    Wenn »Mensch« im breiten Verständnis mit »Körper« gleichgesetzt wird, dann gehört alle Zeit dem Körper. Dann fehlt ein
ganz großer Teil dessen, was Menschen eben auch ausmacht. Welch ein Leben muss das sein, das sich ausschließlich dem Erhalt des eigenen Körpers widmet? Schauen Sie sich um! Ziemlich schäbig, wenn auch hübsch anzusehen. Nicht das Menschliche ist dabei Programm, sondern nur noch der Zweck.

    Eine Welt, die nur noch aus Körpern von Menschen besteht, die durch Geburt und Tod definiert werden, ist philosophisch gesehen unglaublich öde und leer. Das vollständige Verschwinden einer echten Sorge um Unsterblichkeit, die sich jenseits vom Körper in einer gemeinsamen Welt – vor allem auch durch Sprache – entwickelt, produziert obsessive narzisstische Selbstbetrachtung und ständige Überschätzung des Körperlichen. Wenn Miss Germany 2007 auf ihrer Reise zur Ausscheidung Miss Universum zu Spiegel Online ganz ehrlich meint: »Eine Miss Universum kann die Welt verändern«, ist es wohl auch für mich höchste Zeit, sofort eine Diät zu beginnen.

    Der Körperkult betrifft nun nicht nur das gegenwärtige, sondern auch das künftige Menschenbild. In den Labors dieser Welt wird schon jetzt an den Ingredienzien künftiger Menschen rumgetüftelt. Kinder auf Bestellung müssen gewissen Schönheitsidealen entsprechen – damit verbauen wir das Recht jeder Generation, ihr eigenes Gesicht und ihre eigene Freiheit zu bestimmen.

    Die pränatalen Verfeinerungsmechaniken und die sofortigen nachgeburtlichen Schönheits- und Gesundheitsinterventionen bestimmen auch die nächsten Generationen. Die Wahlfreiheit für ein individuelles Antlitz wird durch das Labor verhindert. Verloren geht das Wissen um Unperfektheit, die den einzelnen Menschen zu dem machen kann, was er ist.

    Ich selber trage beispielsweise seit meiner Geburt ein großes und sehr auffälliges Feuermal, ein so genanntes Naevus Flammeus, in meinem Gesicht. Wer mich länger kennt, sieht den
roten Fleck schon längst nicht mehr. Mich hat mein Muttermal nie gestört, im Gegenteil, es verleiht mir genau die individuelle Note, die zu meiner Art, zu meinem Denken, Reden und Schreiben passt. Doch seit etwa fünf Jahren werde ich immer häufiger von völlig fremden Menschen auf meinen »Geburtsfehler« aufmerksam gemacht. Kassiererinnen fragen mich besorgt, ob ich unter einer Allergie

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