Die Vermessung der Frau
das Äußere festgelegt, die so nicht gesund ist«, erklärt die Geschlechterforscherin Spiegelonline. »In der Schokoladenverpackung steckt eine weibliche Spielfigur aus Plastik, bei deren Taillenumfang nicht einmal Platz für einen Darm bleibt.« Spiegel, 28.8.2012.
3) »Verfügungsmacht über den weiblichen Körper«: Hier ein Wort zu Judith Butlers »Unbehagen der Geschlechter«. 1990 entfachte die US-amerikanische Philosophin Judith Butler eine große Kontroverse mit ihrem Entwurf
zum menschlichen Körper. Sie geht davon aus, dass Materie immer etwas Gewordenes ist, d.h. Resultat von Macht und Diskurs. Die Körper sind bei Butler nicht nur beschriftet, sondern sie sind konstruiert, sie sind im Wesentlichen performativ. Dies bedeutet nicht, dass jeder Mensch seinen eigenen Körper konstruieren kann. Dies heißt nur, dass materielle Evidenzen sich im Raum von Sprache und Macht manifestieren. Judith Butlers Analyse ist inspirierend. Doch ich kritisiere Judith Butler vehement, wenn sie versucht, ihre Deutung auch auf die Politik anzuwenden. Judith Butler hat kein Verständnis für Macht und Herrschaft. Sie gibt ihren Analysen – außer wenn es um die absurde Kritik an Israel geht – überhaupt keinen Raum für politische Überlegungen. Butler untersucht nur noch Strukturen und Inszenierungen, lässt das menschliche Subjekt wie die Genforscher aber außen vor: Auch bei Judith Butler gibt es keinen freien menschlichen Willen. Andere Kritikerinnen warfen Judith Butler vor, dass sie die Frau entkörpere, also endgültig dem Abfallhaufen der Geschichte zuordne und die wesentliche männliche Ordnung des Körpers als Text wiederinszeniere. Butler zeigt sich als Kind ihrer Zeit, indem sie die totalitäre kapitalistische Vision, den Körper, hinter dem Diskurs wie bei anderen Philosophen, auch hinter der Maschine verschwinden lässt. Judith Butler reproduziert den Menschen als fixes Bild und als fixe Schrift, obwohl sie das Gegenteil behauptet. Die Idee der ahistorischen Menschwerdung manifestiert sich auch bei Butler. Butler will wie viele Philosophen ein Wesen inszenieren, das sich selber und nur durch den Geist schafft. Diesem Gedanken inhärente Zerstörungslust an der Weiblichkeit wird kaum reflektiert. Frauen sind Menschen und Körper, sie sind immer beides gleichzeitig, während das Subjekt Mann, sich in Geist und Körper, je nach Situation, aufspalten kann.
4) »Schöne, neue Welt«: Dass ich mit meiner Einschätzung der Wirklichkeitswerdung der Dystopie von Aldous Huxley nicht falsch liege, belegt die neue Arzneimittelverordnung der EU vom Februar 2013. Heribert Prantl dazu trocken: »Ich wollt, ich wär ein Tier« – da die Verordnung uneingeschränkte Menschenversuche für Pharmaunternehmen erlaubt. Süddeutsche Zeitung, 18.2.2013.
5) »Ritalin«: Allein in Deutschland wurden im Jahr 2011 über 55 Millionen Tagesdosen abgegeben. Ritalin beruht auf dem chemischen Wirkstoff Methylphenidat und ist das Medikament zur Behandlung von Aufmerksamkeitsstörungen wie ADS/ADHS. In den USA wird bei über 12 Prozent aller Jungs ADS/ADHS diagnostiziert und fast immer mit Ritalin behandelt.
DIE NEUEN »DAS GOTT«-MÄDCHEN
1) »Ludwig Wittgensteins Sprachtheorie«: Sprache wird nicht nur gesprochen und gedacht, sondern gelebt. Worte bekommen ihre Bedeutung nicht, weil Sprecher sie definieren oder Dinge bezeichnen, sondern weil sie gemeinsam gebraucht werden. Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache. Philosophie ist Sprache und Sprache ist das Leben. Wittgenstein begründete den linguistic turn, der später mit dem iconic turn ergänzt wurde. Meine Kritik an Wittgenstein ist seine apolitische und ahistorische Auffassung von Sprache, die in atomisierte Versatzstücke zerfällt.
2) »Klassisches Managerinnentreffen«: In diesem Kapitel geht es um die »Plastikfrauen« und die »Männer aus Pappe« der US-amerikanischen Bestsellerautorin Hanna Rosin. »Das Ende der Männer« beschreibt eher »Das Ende der Menschen und wie dies die Frauen erreichen«. Unzählige Science-Fiction-Romane nehmen das Thema der Empathie auf. Sie erzählen Geschichten von Menschen ohne die Fähigkeit, Mitgefühl zu entwickeln. Die »Das Gott-Mädchen« sind ziemlich verbreitet. Es sind die namenlos gut anzusehenden Nummerngirls der Medienszene, die als Models, Moderatorinnen und Gesprächspartnerinnen unauffällig und kühl die Welt mit einer Sanftheit in ihrer Grausamkeit erklären, ohne dass auch nur eine Spur Leben zu erkennen
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