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Die Vermessung des Universums: Wie die Physik von morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist (German Edition)

Die Vermessung des Universums: Wie die Physik von morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist (German Edition)

Titel: Die Vermessung des Universums: Wie die Physik von morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: LISA RANDALL
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Teilchen als gebundene Zustände dieser Quarks interpretiert werden – zusammengesetzte Objekte, die keine Nettoladung haben.
    Gell-Mann fiel auf, dass sich viele solcher Kombinationen von neutralen gebundenen Zuständen bilden würden, wenn es drei verschiedene Arten von Quarks gäbe und jede eine verschiedene Farbladung hätte. Und diese vielen Kombinationen könnten der Vielzahl von Teilchen entsprechen, die man gefunden hätte (und das taten sie auch). Somit hatte Gell-Mann eine schöne Erklärung für etwas gefunden, was ein unerklärbares Teilchenchaos zu sein schien.
    Als Murray – ebenso wie der Physiker (und spätere Neurobiologe) George Zweig – diese Idee jedoch erstmals vorschlug, glaubte man nicht einmal, dass es sich dabei um eine echte naturwissenschaftliche Theorie handelte. Der Grund dafür ist zwar etwas technisch, aber interessant. Die Berechnungen der Elementarteilchenphysik beruhen auf Teilchen, die nicht miteinander wechselwirken, wenn sie weit voneinander entfernt sind, so dass wir die endlichen Effekte der Wechselwirkungen berechnen können, die auftreten, wenn sie nahe beisammen sind. Mit dieser Annahme kann jede Wechselwirkung vollständig durch die lokalen Kräfte erfasst werden, die angreifen, wenn die wechselwirkenden Teilchen nahe beieinander sind.
    Die Kraft, die Gell-Mann andererseits vermutet hatte, war stärker, wenn die Teilchen weiter voneinander entfernt waren. Das bedeutete, dass Quarks immer wechselwirken würden, selbst wenn sie ganz weit voneinander entfernt wären. Den damals herrschenden Kriterien zufolge entsprach Gell-Manns Vermutung nicht einmal einer richtigen Theorie, die für zuverlässige Berechnungen verwendet werden konnte. Da Quarks immer miteinander wechselwirken, sind sogar ihre sogenannten asymptotischen Zustände  – die Zustände, an denen Quarks beteiligt sind, die weit von allem anderen entfernt sind – sehr kompliziert. In einem scheinbaren Zugeständnis an die Hässlichkeit waren die asymptotischen Zustände, die sie postulierten, nicht die einfachen Teilchen, die man in einer berechenbaren Theorie gerne sehen würde.
    Am Anfang wusste niemand, wie man Berechnungen mit diesen komplizierten stark gebundenen Zuständen anstellen sollte. Die heutigen Physiker stellen sich die starke Kraft jedoch genau umgekehrt vor. Wir verstehen sie jetzt viel besser, als es der Fall war, als die Idee erstmals vorgeschlagen wurde. David Gross, David Politzer und Frank Wilczek erhielten den Nobelpreis für etwas, was sie »asymptotische Freiheit« nannten. Ihren Berechnungen zufolge ist die Kraft nur bei niedrigen Energien stark. Bei hohen Energien ist die starke Kraft nicht stärker als andere Kräfte, und die Berechnungen fallen so aus, wie sie sollten. Tatsächlich meinen heute manche Physiker, dass Theorien wie die, dass die starke Kraft bei hohen Energien viel schwächer wird, die einzigen wohldefinierten Theorien sind, da die Stärke der Wechselwirkung bei hoher Energie nicht unendlich groß wird, was sie sonst möglicherweise sein könnte.
    Gell-Manns Theorie der starken Kraft ist ein interessantes Beispiel für das Wechselspiel zwischen ästhetischen und wissenschaftlichen Kriterien. Sein ursprünglicher Leitfaden war zwar die Einfachheit. Aber mühsame wissenschaftliche Berechnungen und theoretische Erkenntnisse waren notwendig, bevor jedermann sich auf die Schönheit seines Vorschlags einigen konnte.
    Das ist gewiss nicht das einzige Beispiel. Viele unserer zuverlässigsten Theorien weisen Aspekte auf, die auf den ersten Blick so hässlich und wenig ansprechend sind, dass selbst respektable und wohletablierte Naturwissenschaftler sie anfangs ablehnen. Die Quantenfeldtheorie, die die Quantenmechanik mit der speziellen Relativitätstheorie verbindet, liegt der gesamten Elementarteilchenphysik zugrunde. Doch der italienische Naturwissenschaftler und Nobelpreisträger Enrico Fermi lehnte sie (unter anderen) zunächst ab. Für ihn bestand das Problem darin, dass die Quantenfeldtheorie, obwohl sie alle Berechnungen formalisiert und systematisiert und viele richtige Vorhersagen macht, Rechentechniken enthält, die selbst von manchen heutigen Physikern als zweifelhaft angesehen werden. Verschiedene Aspekte der Theorie sind sehr schön und führen zu bemerkenswerten Erkenntnissen. Mit anderen Merkmalen müssen wir einfach vorliebnehmen, auch wenn wir von all ihren Schwierigkeiten nicht so sehr entzückt sind.
    Diese Geschichte hat sich inzwischen oft wiederholt.

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