Die Vermessung des Universums: Wie die Physik von morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist (German Edition)
alle den Menschen die Möglichkeit eines Zugangs zu diesen Qualitäten. Aber das Gleichgewicht könnte auch einfach nur ein Organisationsprinzip sein. Kunst ist auch dann faszinierend, wenn sie unsere Vorstellungen von Gleichgewicht in Frage stellt, wie wir bei den frühen Skulpturen von Richard Serra sehen (siehe Abbildung 47).
Abb. 47: Diese frühen Skulpturen von Richard Serra illustrieren, dass Kunst manchmal interessanter ist, wenn sie leicht vom Gleichgewicht entfernt zu sein scheint. (Copyright © 2011, Richard Serra/Artists Rights Society [ARS], New York.)
Auch Symmetrie wird häufig als wesentlich für Schönheit erachtet, und sowohl Kunst als auch Architektur weisen häufig die Ordnung auf, die durch sie erzeugt wird. Etwas ist symmetrisch, wenn man es so verändern kann – z.B. durch Drehung, durch Spiegelung oder durch gegenseitige Vertauschung seiner Teile –, dass das veränderte System vom ursprünglichen ununterscheidbar ist. Die Harmonie der Symmetrie ist wahrscheinlich ein Grund dafür, dass religiöse Symbole oft symmetrisch sind. Das christliche Kreuz, der jüdische Stern, das Dharma-Rad des Buddhismus und der Halbmond des Islam sind alles Beispiele dafür und werden in Abbildung 48 dargestellt.
Abb. 48: Religiöse Symbole verkörpern häufig Symmetrien.
In einem weiterreichenden Sinne ist die islamische Kunst, die bildliche Darstellungen verbietet und auf geometrischen Formen beruht, für ihre Verwendung von Symmetrien bemerkenswert. Das indische Taj Mahal ist ein großartiges Beispiel dafür. Ich habe noch nie jemanden erlebt, der das Taj Mahal besucht hat und nicht von seiner meisterhaften Ordnung, Form und Symmetrie beeindruckt war. Die Alhambra in Südspanien, die ebenfalls maurische Kunst und deren interessante Symmetriemuster verkörpert, ist möglicherweise eines der schönsten Gebäude, die heute noch vorhanden sind.
Abb. 49: Sowohl die Architektur der Kathedrale von Chartres als auch die Decke der Sixtinischen Kapelle verkörpern Symmetrien.
Kunst aus jüngerer Zeit, wie etwa das Werk von Ellsworth Kelly oder Bridget Riley, weisen ausdrücklich geometrische Symmetrien auf. Die Kunst und Architektur der Gothik – siehe z.B. die Kathedrale von Chartres und die Decke der Sixtinischen Kapelle – nutzten die Symmetrie ebenfalls ungemein aus (siehe Abbildung 49).
Kunst ist jedoch am schönsten, wenn sie nicht vollkommen symmetrisch ist. Die japanische Kunst ist für ihre Eleganz bekannt, aber auch für die wohldefinierte Brechung der Symmetrie. Japanische Gemälde und Siebdrucke haben eine deutliche Ausrichtung, die das Auge über die Bilder führt, wie man in Abbildung 50 sehen kann.
Abb. 50: Die japanische Kunst ist zum Teil wegen ihrer Asymmetrie interessant.
Einfachheit ist ein weiteres und manchmal verwandtes Kriterium, das für die Bewertung von Schönheit nützlich sein könnte. Eine gewisse Einfachheit ergibt sich aus Symmetrien. Eine zugrunde liegende Ordnung kann jedoch auch beim Fehlen ausdrücklicher Symmetrien vorhanden sein. Werke von Jackson Pollock besitzen eine grundlegende Einfachheit im Hinblick auf die Farbdichte, obwohl der erste Eindruck manchmal chaotisch zu sein scheint. Obwohl die einzelnen Farbspritzer als völlig zufällig erscheinen, haben seine berühmtesten und erfolgreichsten Werke bei jeder Farbe, die darin vorkommt, eine ziemlich einheitliche Dichte.
Einfachheit in der Kunst kann häufig trügerisch sein. Ich habe einmal versucht, Skizzen einiger Ausschnitte aus Gemälden von Matisse zu machen, seinen einfachsten Werken, die er schuf, als er alt und gebrechlich war. Doch als ich versuchte, sie zu reproduzieren, wurde mir klar, dass sie eben nicht so einfach waren – zumindest nicht für meine ungeübte Hand. Einfache Elemente können mehr Struktur verkörpern, als wir auf den ersten Blick wahrnehmen.
Jedenfalls findet man Schönheit nicht nur in einfachen elementaren Formen. Manche bewunderten Kunstwerke, wie z.B. diejenigen von Raphael oder Tizian, sind reichhaltige, komplexe Gemälde mit vielen Elementen darin. Schließlich kann die vollkommene Einfachheit todlangweilig sein. Wenn wir uns Kunstwerke anschauen, ziehen wir etwas Interessantes vor, das unser Auge führt. Wir wollen etwas, das einfach genug ist, um ihm folgen zu können, aber nicht so einfach, dass wir gelangweilt werden. Genauso scheint auch die Welt aufgebaut zu sein.
Schönheit in der Naturwissenschaft
Ästhetische Kriterien sind schwierig zu bestimmen. In der
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