Die Vermessung des Universums: Wie die Physik von morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist (German Edition)
Naturwissenschaft – wie in der Kunst – gibt es zwar vereinheitlichende Themen, aber nichts Absolutes. Doch auch wenn die ästhetischen Kriterien der Naturwissenschaft schlecht definiert sein mögen, sind sie dennoch nützlich und allgegenwärtig. Sie tragen dazu bei, unsere Forschung zu lenken, auch wenn sie keine Garantie für Erfolg oder Wahrheit bieten.
Ästhetische Kriterien, die wir auf die Naturwissenschaft anwenden, ähneln denen, die wir gerade für die Kunst skizziert haben. Symmetrien spielen gewiss eine wichtige Rolle. Sie helfen uns dabei, unsere Berechnungen zu planen, und verknüpfen oft verschiedenartige Phänomene miteinander. Interessanterweise sind die Symmetrien wie bei der Kunst gewöhnlich nur annähernd. Die besten naturwissenschaftlichen Beschreibungen beachten häufig die Eleganz symmetrischer Theorien, während sie auch eine Symmetriebrechung einschließen, die notwendig ist, um Vorhersagen über die Welt zu machen. Die Symmetriebrechung reichert die Ideen an, die sie umspannt, und diese Ideen bieten dadurch eine größere Erklärungskraft. Und genauso wie es häufig in der Kunst der Fall ist, können die Theorien, die gebrochene Symmetrien aufweisen, sogar noch schöner und interessanter sein als diejenigen, die vollkommen symmetrisch sind.
Der Higgs-Mechanismus, der für die Massen der Elementarteilchen verantwortlich ist, stellt ein hervorragendes Beispiel dar. Wie wir im folgenden Kapitel darlegen werden, erklärt der Higgs-Mechanismus ganz wortgewandt, wie die Symmetrie, die mit der schwachen Kraft verknüpft ist, leicht gebrochen werden kann. Wir haben das Higgs-Boson zwar noch nicht entdeckt – das Teilchen, das ein unumstößlicher Beleg dafür wäre, dass die Idee richtig ist. Aber die Theorie ist so schön und erfüllt auf so einzigartige Weise Kriterien, die sowohl von Experimenten als auch von der Theorie verlangt werden, dass die meisten Physiker glauben, sie sei in der Natur verwirklicht.
Einfachheit ist ein weiteres wichtiges subjektives Kriterium für theoretische Physiker. Wir haben eine tiefverwurzelte Überzeugung, dass den komplizierten Phänomenen, die wir sehen, einfache Elemente zugrunde liegen. Diese Suche nach einfachen, grundlegenden Elementen, aus denen sich die gesamte Wirklichkeit zusammensetzt oder denen sie gleicht, begann vor langer Zeit. Platon stellte sich vollkommene Formen vor – geometrische Figuren und ideale Wesen, denen sich die Dinge auf der Erde nur annähern. Auch Aristoteles glaubte an ideale Formen, aber er wiederum dachte, dass die Ideale, denen sich physikalische Objekte annähern, sich nur durch Beobachtungen offenbaren. Die Religionen postulieren ebenfalls häufig einen vollkommeneren und einheitlicheren Zustand, der von der Wirklichkeit zwar entfernt, aber doch auch irgendwie mit ihr verbunden ist. Selbst die Geschichte des Sündenfalls aus dem Garten Eden setzt eine idealisierte vorgängige Welt voraus. Obwohl die Fragen und Methoden der modernen Physik sich von denen unserer Vorfahren stark unterscheiden, suchen auch viele Physiker nach einem einfacheren Universum – zwar nicht in der Philosophie oder Religion, sondern in den elementaren Bestandteilen, aus denen die Welt besteht.
Die Suche nach einer zugrunde liegenden wissenschaftlichen Wahrheit umfasst oft das Aufspüren einfacher Elemente, aus denen wir die komplexen und reichhaltigen Phänomene, die wir beobachten, rekonstruieren können. Diese Forschung besteht häufig in dem Versuch, sinnvolle Muster oder Organisationsprinzipien zu identifizieren. Nur wenn ein Vorschlag einfache und elegante Ideen auf prägnante Weise realisiert, erwarten die meisten Naturwissenschaftler, dass er das Potential hat, richtig zu sein. Ein Ausgangspunkt, der am wenigsten Aufwand enthält, besitzt den weiteren Vorteil, dass er die größte Vorhersagekraft verspricht. Wenn wir Elementarteilchenphysiker Vorschläge dafür betrachten, was dem Standardmodell zugrunde liegen könnte, werden wir gewöhnlich skeptisch, wenn die Realisierung einer Idee sich als zu umständlich erweist.
Wie bei der Kunst auch können physikalische Theorien an sich einfach sein, oder sie können komplexe zusammengesetzte Gebilde sein, die aus einfachen und vorhersagbaren Elementen bestehen. Das Endprodukt ist natürlich nicht unbedingt einfach, auch wenn es die ursprünglichen Komponenten sind – und vielleicht sogar die Regeln selbst.
Die extremste Version solcher Bestrebungen ist die Suche nach einer
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