Die Vermessung des Universums: Wie die Physik von morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist (German Edition)

voraus, lässt jedoch Fragen darüber unbeantwortet, warum deren Eigenschaften so und nicht anders sind. Dunkle Materie und das Higgs-Boson könnten sich »hinter der nächsten Ecke befinden« – genau wie Belege für neue Raumzeitsymmetrien oder gar neue Dimensionen des Raumes. Wir könnten Glück haben und bald schon Antworten erhalten. Oder – wenn die relevanten Größen zu schwer sind oder zu schwach wechselwirken – es könnte eine Weile dauern. Wir werden das nur herausfinden, wenn wir Fragen stellen und nachforschen.
    Ebenfalls habe ich Spekulationen über einige Ideen vorgestellt, die noch schwieriger zu überprüfen sind. Obwohl sie das Vorstellungsvermögen fördern und am Ende vielleicht mit der Wirklichkeit verknüpft werden könnten, ist es auch möglich, dass sie im Bereich der Philosophie oder Religion verbleiben. Die Naturwissenschaft wird die Landschaft multipler Universen – oder gar die Existenz Gottes – zwar nicht widerlegen, aber sie wird sie wahrscheinlich auch nicht bestätigen. Dennoch haben einige Aspekte des Multiversums – wie z.B. diejenigen, die die Hierarchie erklären könnten – überprüfbare Konsequenzen. Den Naturwissenschaftlern obliegt es, diese aufzuspüren.
    Der andere Hauptbestandteil von Knocking on Heaven’s Door waren die Begriffe – wie z.B. Maßstab, Unsicherheit, Kreativität und rationales, kritisches Denken –, die das naturwissenschaftliche Denken durchdringen. Wir können die Überzeugung hegen, dass die Naturwissenschaft Fortschritte im Hinblick auf zu erreichende Antworten machen wird, und dass das Bild mit der Zeit komplexer werden kann, auch wenn wir noch über keine völlig ausgearbeitete Erklärung verfügen. Die Antworten mögen zwar kompliziert sein, aber das rechtfertigt nicht den Verzicht auf den Glauben an die Vernunft.
    Das Verständnis der Natur, des Lebens und des Universums stellt uns vor außergewöhnlich schwierige Probleme. Wir alle möchten gerne besser verstehen, wer wir sind, woher wir kamen und wohin wir gehen – und uns auf Dinge konzentrieren, die größer als wir selbst und beständiger sind als die neueste technische Spielerei oder Mode. Es ist leicht einzusehen, warum sich manche Menschen der Religion zuwenden, um Erklärungen zu erhalten. Ohne die Tatsachen und die geistreichen Interpretationen, die überraschende Verbindungen nachwiesen, wären die Antworten, zu denen die Naturwissenschaftler bisher gelangt sind, äußerst schwierig zu erraten gewesen. Menschen mit wissenschaftlichem Verstand fördern unser Weltwissen. Die Herausforderung besteht darin, so viel wie möglich zu verstehen, und dafür ist Neugier erforderlich, die von keinen Dogmen eingeschränkt wird.
    Die Trennlinie zwischen legitimem Zweifel und Arroganz mag für manche zwar ein Problem sein, aber letztlich ist kritisches, wissenschaftliches Denken die einzig zuverlässige Möglichkeit, Fragen zum Aufbau des Universums zu beantworten. Extremistische anti-intellektuelle Strömungen, die es in manchen religiösen Bewegungen gibt, stehen zwar im Konflikt mit dem traditionellen christlichen Erbe – ganz zu schweigen von Fortschritt und Naturwissenschaft –, aber glücklicherweise machen sie nicht alle religiösen oder intellektuellen Standpunkte aus. Viele Denkwege – selbst religiöse – stellen Herausforderungen für vorhandene Paradigmen dar und gestatten die Entfaltung von Ideen. Fortschritt bedeutet für jeden von uns, dass wir falsche Ideen ersetzen und auf den richtigen aufbauen.
    Ich wusste seine Ansicht zu schätzen, als Bruce Alberts, ehemaliger Präsident der National Academy of Sciences und gegenwärtiger Chefredakteur der Zeitschrift Science , bei einer vor kurzem gehaltenen Vorlesung die Notwendigkeit der Kreativität, Rationalität, Offenheit und Toleranz hervorhob, die für die Naturwissenschaft wesentlich sind – die widerstandsfähige Kombination von Eigenschaften, die Jawaharlal Nehru, Indiens erster Premierminister, »das wissenschaftliche Temperament« [76]   nannte. In der heutigen Welt ist wissenschaftliches Denken entscheidend und liefert wichtige Werkzeuge für die Behandlung vieler schwieriger Fragen – gesellschaftlicher, praktischer und politischer. Ich möchte gerne mit einigen weiteren Überlegungen zur Relevanz der Naturwissenschaft und des naturwissenschaftlichen Denkens schließen.
    Einige der komplexen Herausforderungen von heute könnten zwar durch eine Kombination von Technik, Informationen über große