Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing
Niemand zwingt mich dazu, so zu sein. Ich bin halt wie ich bin. Und das ist in Ordnung so.«
Er stand ebenfalls auf, ging mit schnellen Schritten um den Tisch herum und blieb dann so nahe vor mir stehen, dass sein Gesicht nur wenige Zentimeter von meinem entfernt war. » Du belügst mich in einer Tour, und dich selbst auch. Vielleicht schaffst du es ja irgendwann sogar, dir einzureden, dass du glücklich bist. Aber früher oder später wirst du es bereuen.«
» Das ist dann mein Problem und nicht deins.«
Er sah mich mit finsterer Miene an. Mir war schwindlig, und ich fühlte mich, als würde ich fallen. » Was neulich zwischen uns passiert ist«, erklärte er dumpf, » das war echt. So solltest du dein Leben leben. Damit«, und er tippte mit den Fingerspitzen an meinen Oberkörper, direkt über dem Herzen.
Ich ärgerte mich über ihn und noch mehr über mich selbst, doch als er mich berührte, vergaß ich alles um mich herum, schmiegte mich an ihn, wollte ihn spüren und wandte mein Gesicht seinem Mund zu. In seinem Kuss lag keine Wärme, sondern nur Missmut und Zorn. Aber das war mir egal. Es spielte keine Rolle. Nichts spielte eine Rolle.
Im nächsten Moment klopfte es kurz an, während sich die Tür schon öffnete. Synchron schossen wir auseinander, wohl wissend, dass es zu spät war, dass wir ertappt worden waren.
» Ich will ja nicht stören«, verkündete die karibische Krankenschwester süffisant, » aber Ihr Chef ist am Telefon.«
Blake fluchte leise, nahm seine Papiere einschließlich der Zeitung und hastete an der Schwester vorbei, ohne ein Wort zu ihr oder mir zu sagen. Ich schaute sie an, die Röte in meinem Gesicht sehr wohl spürend, sagte aber ebenfalls kein Wort.
» Mm-hmm«, machte sie vielsagend und ging dann ihrer Wege.
Nun konnte ich unmöglich weiter an Geoffs Krankenbett sitzen. Ich schlich zurück in seine Koje und holte meine Sachen. Im Gehen murmelte ich eine Entschuldigung in seine Richtung. Egal was Blake gesagt hatte– ich ahnte, dass ich Geoff mit auf die Liste derer setzen musste, denen ich etwas schuldig war. Ich war ihm gegenüber in der Verantwortung, ob es mir nun gefiel oder nicht. Das war ganz und gar nicht unsinnig, da täuschte sich Blake gewaltig. Überhaupt war es wieder mal typisch für ihn, dass er zu wissen glaubte, was gut für mich war. Sosehr ich mich dafür schämte, von der Schwester in seinen Armen erwischt zu werden, sosehr ärgerte ich mich auch darüber, dass ich so wenig Selbstachtung hatte, dass ich mich ihm gleich wieder an den Hals warf. Doch selbst jetzt spürte ich in meinem Körper– diesem Verräter– noch die Erregung und Enttäuschung.
Auf dem Weg aus dem Krankenhaus verlief ich mich ein paarmal. Ohne den schlaksigen Doktor als Fremdenführer war ich völlig verloren. Als ich endlich eine Tür fand, die zur Außenwelt führte, stürmte ich umgehend hinaus– überglücklich, endlich wieder an der frischen Luft zu sein. Es war ein milder, sonniger Tag. Ich schirmte die Augen mit der Hand ab, denn das von den Autos auf dem Krankenhausparkplatz reflektierte Sonnenlicht blendete mich. Ich überlegte, in welche Richtung ich gehen sollte, und bemerkte zunächst gar nicht, dass ein Auto neben mir hielt.
» Sarah«, rief eine gut gelaunte Stimme vom Fahrersitz. » Wo wollen Sie denn hin?«
Ich beugte mich hinunter und sah das Gesicht von DCI Vickers. Zwischen uns saß Blake, der starr geradeaus blickte, um mich nicht ansehen zu müssen.
» Äh… also, ich will nur nach Hause«, antwortete ich zögernd.
» Das trifft sich gut, wir wollen gerade zurück in Ihre Gegend. Steigen Sie ein«, bot Vickers an.
Dieses Angebot konnte ich wohl kaum ablehnen. Der Rückweg führte etliche Kilometer an der vierspurigen Fernstraße entlang– nicht eben eine nette Wanderung. Vickers würde mir niemals abnehmen, wenn ich behauptete, diesen Weg lieber zu Fuß gehen zu wollen.
» Danke«, sagte ich also und setzte mich hinter Vickers auf den Rücksitz. Blake drehte sich nicht zu mir um; seine Ohren waren knallrot. Ich begegnete Vickers’ Augen im Rückspiegel. Diesen prüfenden Blick hatte ich bereits bei unserem Gespräch in den frühen Morgenstunden bemerkt.
» Ja, ich weiß, ich hätte Ihnen von meinem Bruder erzählen sollen«, sagte ich leise.
Die Falten um seine Augen herum verzogen sich, und ich erkannte, dass er lächelte. » Das stimmt. Aber Sie hatten sicher Ihre Gründe.«
» Ich wollte Ihnen nichts verschweigen. Ich dachte nur nicht, dass es für
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