Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing
sicher, dass das Haus diesmal leer ist.«
Ein ungutes Gefühl sagte mir, von welchem Haus gerade die Rede war.
» Als sich unsere Beamten wegen letzter Nacht in der Nachbarschaft umgehört haben, ist so gut wie nichts dabei herausgekommen«, fuhr Vickers fort. » Keiner war sonderlich hilfreich, um ehrlich zu sein. Die Leute scheinen hier einen gesunden Schlaf zu haben, aber wenigstens haben sie sich alle Mühe gegeben, unsere Fragen zu beantworten. Es gehört zum Standardprogramm, dass wir sämtliche Nachbarn überprüfen, um zu sehen, ob nicht vielleicht doch einer darunter ist, der, nun ja, von Interesse ist– um es mal so auszudrücken. Und was glauben Sie, auf wen wir dabei gestoßen sind? Auf keinen Geringeren als Ihren Nachbarn von gegenüber, einen gewissen Daniel Keane. Kennen Sie ihn?«
Ich fing an, den Kopf zu schütteln, ließ es dann wieder sein und antwortete schließlich: » Mehr oder weniger. Ich habe schon seit Jahren kein Wort mehr mit ihm gesprochen. Nein, eigentlich kenne ich ihn nicht. Das heißt, ich habe ihn mal gekannt.«
Hirnloses Geplapper. Ich unterbrach mich und biss mir auf die Lippe.
Sowohl Vickers als auch Blake sahen mich an. Sie wirkten beide höchst interessiert.
Ich seufzte. » Wie soll ich das erklären, er war eben Charlies Freund, verstehen Sie? Und nachdem Charlie verschwunden war, durfte ich nicht mehr mit ihm sprechen. Natürlich sind wir inzwischen erwachsen, aber ich rede halt nicht mit ihm. Ich sehe ihn schon ab und zu, aber ich kann wirklich nicht behaupten, ihn zu kennen.«
Vickers wirkte zufrieden. » Nun, wenn das so ist, wissen Sie wahrscheinlich auch nichts über Mr. Keanes jüngere Vergangenheit. Vor ein paar Jahren steckte er in allerhand Schwierigkeiten. Diverse Strafen wegen Körperverletzung, was im Wesentlichen auf Kneipenschlägereien hinauslief, ein paar Diebstähle und Verkehrsdelikte, solcher Kram eben. Typischer Kleinganove. Dann wurde er nach einem ziemlich üblen Fall von schwerer Körperverletzung aufgegriffen, bei dem einem armen Kerl der Schädel zertrümmert wurde, aber die Beweise waren zu dünn. Und dann: Oh Wunder, keine Vergehen mehr, keine Scherereien, nichts. Er suchte sich einen Job, und wir verloren ihn ziemlich bald aus den Augen. Bis gestern. Wir haben die Autowerkstatt angerufen, bei der er arbeitet, und dort ist er heute nicht aufgetaucht. Er hätte heute morgen ganz normal antreten müssen, aber er hat sich nicht gemeldet. Übrigens gibt es dort keinerlei Beschwerden über ihn. Nicht mal verschlafen hat er bisher.«
Blake wurde langsam unruhig. » Wir sollten uns beeilen. Die Jungs warten auf uns.«
Jetzt erst wurde mir bewusst, dass ich sie aufhielt. Irritiert griff ich nach meiner Tasche und meiner Jacke und murmelte ein Dankeschön fürs Mitnehmen in Vickers’ Richtung. Blake würdigte ich keines Blickes, als ich zur Haustür eilte, wobei ich die Beamten, die vor Dannys Haus Stellung bezogen, nur schemenhaft wahrnahm. Erst als ich den Schlüssel ins Schloss schob, fiel mir plötzlich Paul ein. Wenn er zu Hause war, würde er ganz bestimmt nicht der Polizei die Tür öffnen. Bestimmt hatte er panische Angst. Wahrscheinlich war er auch jetzt da drinnen. Ich drehte mich wieder um, zögerte aber und war mir nicht sicher, ob ich etwas sagen sollte. Falls Danny verschwunden war, wie die Polizei offenbar annahm, hatte er doch sicher seinen Bruder mitgenommen?
Während ich noch unschlüssig vor der Tür stand, überschlugen sich plötzlich die Ereignisse auf der Straße. Auf ein Nicken von Vickers hin postierte sich eine Gruppe uniformierter Polizisten vor der Haustür gegenüber. Der erste in der Reihe brüllte: » Polizei! Machen Sie die Tür auf!« und ging, ohne eine Antwort abzuwarten, mit einem roten Rammbock auf die Tür los. Unter der wiederholten Krafteinwirkung, die sich vor allem gegen die Scharniere richtete, bog und krümmte sich die Tür. Letztendlich gab sie nach und der erste Polizist trat zur Seite, um den anderen, die hinter ihm gewartet hatten, Platz zu machen. Sie stürmten ins Haus und riefen dabei immer wieder so laut sie konnten: » Polizei!«
Mit eng um den Körper geschlungenen Armen ging ich wieder zurück zur Gartenpforte. Trotz des strahlenden Sonnenscheins war mir kalt. Vickers und Blake standen draußen und warteten. Aus dem Haus drangen Lärm und Getrampel, Befehlsschreie, das Krachen aus den Angeln fliegender Türen. Dann gab es eine Pause. Jemand rüttelte an einem Fenster auf der Straßenseite,
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