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Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing

Titel: Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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anders als sonst. Ich sah ihm ins Gesicht, und ich sah einen Fremden.
    Bevor ich etwas entgegnen konnte, kam Vickers mit einem Mann zurück, den ich nicht kannte. Er war um die vierzig, übergewichtig und hatte bereits recht lichtes Haar. Auch wenn er nicht neben Vickers gestanden hätte, wäre mir wahrscheinlich sofort klar gewesen, dass er Polizist war. Argwohn und tiefe Ernüchterung lagen in seinem Blick, und er sah aus wie jemand, der schon viel zu viele Lügen gehört hatte. Mit schwacher, eintöniger Stimme und betonungslos ineinanderfließenden Worten sagte er einen Text auf, den er sicher schon unzählige Male vorgetragen hatte.
    » Sarah Finch, ich verhafte Sie unter dem Verdacht des Mordes an Jenny Shepherd. Sie haben das Recht zu schweigen, es kann jedoch Ihrer Verteidigung schaden, wenn Sie bei der Vernehmung etwas verschweigen, auf das Sie sich später vor Gericht berufen. Alles, was Sie sagen, kann vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Haben Sie mich verstanden?«
    Unwillkürlich klappte mir der Unterkiefer herunter– sicher eine ganz normale Reaktion auf einen solchen Schock. Ich schaute zu Vickers, um zu sehen, wie er reagierte, doch sein Blick verharrte verschwommen im Nirgendwo. Blake starrte auf seine Füße und vermied es, mich anzusehen.
    » Das können Sie nicht machen«, sagte ich und war außerstande zu glauben, was ich gerade erlebte. » Das können Sie unmöglich für richtig halten.«
    Vickers überhörte mich demonstrativ und sagte: » DC Smith, kann ich es Ihnen und DC Freeman überlassen, Miss Finch aufs Revier zu bringen? Handschellen sind nicht nötig, denke ich. Wir treffen uns dann dort.«
    Smith nickte und winkte mich heran. » Beeilen Sie sich.«
    » Nehmen Sie mich nicht selbst mit?«, fragte ich Blake und Vickers, und gab mir keine Mühe mehr, meine Verbitterung zu unterdrücken.
    Vickers schüttelte den Kopf. » Ab jetzt werden Sie nicht mehr direkt mit uns zu tun haben. Das liegt daran, dass wir Sie kennen, wissen Sie. Das könnte Interessenskonflikte geben, wenn es zur Gerichtsverhandlung kommt.« Blake wandte sich brüsk ab, und ich fragte mich, ob Vickers möglicherweise gewittert hatte, dass da etwas zwischen uns war, oder ob es sich wirklich nur um Routine handelte. Der Chief Inspector ignorierte seinen Sergeant und resümierte: » Es ist das Beste, wenn von jetzt an andere Kollegen übernehmen.«
    » Das Beste für wen?«, fragte ich, bekam aber keine Antwort mehr.
    DC Smith legte mir seine fleischige Hand auf den Arm und führte mich in den Flur, wo wir zunächst einen Strom von Polizeibeamten passieren lassen mussten, die Kisten und Säcke voller Beweismaterial zu den bereitstehenden Fahrzeugen schafften. In den stabilen, transparenten Plastiksäcken sah ich Computerfestplatten, CDs, DVD-Hüllen und eine Webcam. Einer der Polizisten trug etwas Langes und Schweres, das in braunes Packpapier gewickelt war– einen Golfschläger? Oder vielleicht ein Schürhaken? Es war nicht zu erkennen. Im Vorbeigehen warf er Vickers einen vielsagenden Blick zu, und dieser nickte wortlos und nüchtern zurück. Es kamen noch mehr Säcke, jetzt mit persönlichen Dingen– Kleidungsstücke, Spielzeug von Paul, gerahmte Fotos, Dokumente aller Art. Sie nahmen das gesamte Haus auseinander. Am Ende würde nichts mehr davon übrig sein.
    Und dasselbe hatten sie vermutlich auch mit mir vor. Verstohlen warf ich Vickers einen Seitenblick zu. Ich sah die tiefen Falten in seinem Gesicht und den entschlossenen Zug um seinen Mund. Keine Spur von Milde. Aber ich konnte ihm keine Schuld geben. Was sich in diesem Haus abgespielt hatte, wagte man sich kaum auszumalen. Ich war buchstäblich nicht in der Lage, darüber nachzudenken.
    Während um mich herum die Polizei tätig war, stand ich da wie ein Zombie. Ich hörte kaum, worüber sie knapp und eilig sprachen. Der Fairness halber musste man sagen, dass keiner viel Aufhebens um das machte, was da zum Vorschein kam. Allenfalls betroffene Gesichter waren zu sehen. Es war unbegreiflich, dass hier in diesem Haus ein Kind furchtbar gelitten hatte und niemand ihm zu Hilfe gekommen war.
    Ich selbst fühlte mich wie betäubt. Von nun an lag die Verantwortung nicht mehr in meinen Händen. Jegliche weitere Rechtfertigung schien zwecklos. Es war mir absolut unerklärlich, was hier vor sich ging. Selbst abgesehen davon, dass ich offenbar gerade in ernsthafte Schwierigkeiten mit der Polizei geraten war, hatte ich immer noch keine Antwort auf die Frage, wie die Dinge

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