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Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing

Titel: Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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gelungen, einen vernünftigen Draht zu dem Jungen zu finden. Er steckt voller Misstrauen. Schon seit Jahren hat er keinen Rückhalt bei vertrauenswürdigen Erwachsenen gehabt und reagiert folgerichtig nicht eben freundlich auf uns oder seine ehemaligen Lehrer. Und andere Angehörige gibt es nicht. Wir haben sogar eine Sozialarbeiterin dazugeholt. Sicherlich leisten diese Leute gute Arbeit, aber in unserem Fall ist sie ungefähr so hilfreich wie ein Stück Bindfaden bei Durchfall. Bitte entschuldigen Sie die Wortwahl. Ich appelliere jedenfalls hiermit an Ihr soziales Gewissen und Ihr Bedürfnis nach Gerechtigkeit.«
    » Und was soll ich Ihrer Ansicht nach tun?«
    » Fahren Sie mit mir zum Krankenhaus. Jetzt gleich.« Vickers hatte die Nummer mit der zittrigen Greisenstimme aufgegeben, und wieder einmal fiel mir auf, wie durchdringend sein eisblauer Blick sein konnte. » Ihnen vertraut er. Er mag Sie. Wir haben ihn gefragt, mit wem er überhaupt sprechen würde, und Ihr Name war der einzige, auf den er positiv reagiert hat. Er hält Sie wohl für so eine Art Engel.«
    » Ich begreife das alles nicht«, antwortete ich und gab mir Mühe, dem Gesagten zu folgen. » Wie können Sie mich von einer Minute zur anderen erst des Mordes bezichtigen und anschließend um meine Hilfe bitten?«
    » Wir hatten unsere Gründe, Sie einer gewissen Mitwirkung an diesem Verbrechen zu verdächtigen«, sagte Vickers missbilligend. » Im Zuge unserer Ermittlungen sind wir allerdings zu der Überzeugung gekommen, dass Sie nicht beteiligt waren. Aber Sie zu verhaften entsprach der juristisch korrekten Vorgehensweise und hat Sie obendrein rehabilitiert.«
    » Jetzt soll ich wohl auch noch dankbar sein?« Ich bebte vor Wut.
    » Das habe ich nicht gesagt«, schlug Vickers wieder etwas sanftere Töne an. » Ich weiß, dass das heftig für Sie war, Sarah. Und wenn ich die Wahl hätte, würde ich Sie jetzt liebend gern nach Hause gehen lassen und Ihnen eine Verschnaufpause gönnen. Aber mir bleibt nicht viel anderes übrig. Ich muss herausbekommen, was Paul weiß, und ich habe einfach nicht die Zeit, mich erst umständlich mit ihm anzufreunden. Ich habe ständig Jennifer Shepherds Eltern am Telefon, die wissen wollen, was es Neues gibt. Ich habe die Presse auf dem Hals, die mich mit allen möglichen Fragen löchert, und ich versuche unter massivem Druck von oben, die Fahndung nach Daniel Keane zu koordinieren. Ich will doch nichts weiter, als diesen ganzen Leuten sagen zu können: Ja, wir sind auf dem richtigen Weg. Auch wenn wir ihn derzeit noch nicht gefasst haben, ist es nur eine Frage der Zeit. Wir sind ihm jedenfalls auf der Spur.«
    » Ich will da nicht mit reingezogen werden«, entgegnete ich und schüttelte den Kopf. » Ich will nicht dazu beitragen, wenn das arme Kind unter Druck gesetzt wird, um ihm belastende Informationen über seinen Bruder zu entlocken.«
    » Bitte Sarah. Sie wissen, wie das ist– diese Ungewissheit. Helfen Sie uns bitte– um der Eltern willen.«
    Das war’s. Damit hatte er mich weichgeklopft. Vickers fand irgendwie immer den richtigen Hebel. Ich war nicht gerade darauf versessen, die Polizei zu unterstützen, aber ich brachte es auch nicht übers Herz, Jennys Eltern unnötig lange auf die Wahrheit warten zu lassen.
    Wenigstens, das musste man ihm lassen, verzichtete Vickers auf Überlegenheitsgesten, als er mich aus dem Vernehmungsraum, durch das Treppenhaus, bis zum Ausgang des Polizeireviers führte. Unterwegs plauderte er locker über die verschiedenen Zimmer, an denen wir vorüberkamen– » und hier haben wir mit Ihnen gesprochen, in der Nacht, als Jennifers Leichnam gefunden wurde, erinnern Sie sich? Und hier drüben habe ich mein Büro.« Das Meiste überhörte ich einfach, während die Blicke seiner Kollegen auf mir brannten. Offenbar dauerte es geraume Zeit, bis die Nachricht von meiner Entlassung die Runde gemacht hatte. Kaum verhohlene Feindseligkeit begleitete mich, während ich mit Vickers die Flure entlanglief.
    Schließlich kamen wir im öffentlich zugänglichen Foyer des Polizeireviers an und liefen direkt in einen Einmannaufstand hinein. Vickers und ich blieben gleichzeitig wie angewurzelt stehen. Wir waren völlig perplex. Ein großer, breitschultriger Mann rang mit zwei uniformierten Beamten und einer Frau. Die Frau klammerte sich an seinen Arm, als gelte es ihr Leben. Daraufhin versuchte der Mann, sie abzuschütteln. Dabei drehte sie den Kopf ein Stück, und ich erkannte Valerie. Er brüllte

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