Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing
zugerannt kam. Mir war völlig rätselhaft, was gerade passiert war– zum Beispiel, woher der Fotograf wusste, wer ich bin–, aber mir war auch schmerzlich bewusst, dass ich soeben etwas verloren hatte, worum ich immer gekämpft hatte. Ein einziges Foto reichte aus, um mir meine Anonymität dauerhaft zu nehmen. Sicher hatte die Polizei gerade zähneknirschend meine Unschuld eingestanden, aber Unschuld lieferte keine gute Story. Verdächtigungen und Spekulationen hingegen schon, wie ich nur allzu gut wusste.
Ich musste nicht sehr lange überlegen, wer hinter dem Ganzen steckte, denn als Vickers den Fotografen gepackt hatte, kam hinter einem der Autos eine Gestalt hervor.
» Sarah, wollen Sie mir nicht von Ihrer Verhaftung erzählen? Warum hat die Polizei Sie verhört? Was haben Sie mit Jennys Tod zu tun?«
Eines musste ich Carol Shapley lassen. Auch wenn sie nur eine skrupellose kleine Reporterin bei einem mickrigen Lokalblättchen war, hatte sie eine absolut sichere Nase für Storys, von denen große Blätter nur träumen konnten.
» Wer hat Sie hierherbestellt?«, herrschte Vickers sie über die Schulter an. Er hatte den Fotografen an die Hauswand gedrängt und presste ihn mit dem Gesicht gegen das Mauerwerk. Mir fiel auf, dass er dabei ein wenig keuchte. Doch Vickers war kräftiger als er aussah, und obwohl der Mann sich wehrte, hatte er aus meiner Sicht keine Chance, sich loszureißen.
Carol lächelte. » Ich habe eben meine Quellen überall, Chief Inspector Vickers. Von denen werde ich auf dem Laufenden gehalten.«
» Dann haben Ihre Quellen Sie diesmal irregeführt. Hier ist keine Story zu holen. Und im Übrigen befinden Sie sich auf Polizeigelände. Sie haben hier keinen Zutritt.«
Sie beachtete ihn gar nicht. Ihre Augen waren wie Suchscheinwerfer, denen nichts entging, als sie über mich hinwegglitten. Ich fühlte mich ihr hilflos ausgeliefert. » Sarah, wir könnten eine Fortsetzung des vorigen Beitrags bringen, in der wir berichten, was Ihnen heute alles widerfahren ist. Wir können Ihren Namen damit vollständig reinwaschen.«
» Bestimmt nicht.«
» Wollen Sie den Leuten denn nicht mitteilen, dass Sie unschuldig sind?«
Ich wollte eigentlich nur so weit wie möglich weg von ihr sein. Schweigend wandte ich den Blick ab in dem Wissen, dass sie jedes Wort von mir nur benutzen würde, um eine noch ergiebigere Story zu stricken.
Hinter mir krachte die Tür, und zwei uniformierte Polizisten verließen lachend das Gebäude. Anfangs merkten sie gar nicht, was gerade vorging.
» Hierher, Jungs!«, presste Vickers hervor, worauf die beiden sofort und ohne Fragen zu stellen reagierten– wie ein gut ausgebildeter Hund auf ein Pfeifsignal. Der Fotograf tat mir fast ein bisschen leid, als sie ihm die Arme auf den Rücken drehten und ihn gewaltsam zu Boden beförderten. Vickers ging beiseite und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. In der anderen Hand ließ er die Kamera des Fotografen baumeln.
» Schauen Sie lieber nach, dass Ihrer Kamera nichts passiert ist. Wäre doch schrecklich, wenn sie kaputt gegangen wäre, nicht wahr?« Während er das sagte, öffnete er die Hand und ließ die Kamera zu Boden fallen. » Ach, oje. Bin ich aber ungeschickt!«
Der Fotograf trat nach den Beamten, die ihn am Boden festhielten, und erntete dafür ein Knie in den Rippen. Vickers ignorierte ihn, hob die Kamera auf und schaltete sie ein.
» Geht noch«, rief er erfreut. » Ist das nicht wunderbar? Moderne Technik vom Feinsten.« Er hockte sich neben den Fotografen. » Darf ich mir die Bilder mal ansehen, die Sie gerade gemacht haben?«
Dieser fluchte mit leiser, hasserfüllter Stimme vor sich hin.
» Mäßigen Sie sich, oder Sie werden verhaftet.«
» Sie können mich nicht wegen ein paar Ausdrücken verhaften«, schimpfte der Mann aufgebracht.
» Laut Absatz fünf des Gesetzes zur öffentlichen Ordnung kann ich das durchaus«, erklärte Vickers und schaute sich die Bilder auf der Kamera an. » Fluchen Sie doch einfach noch einmal, dann merken Sie, ob ich es ernst meine. Was macht diese Taste hier eigentlich? Löschen, oder?«
Carol stand jetzt neben Vickers. » Das können Sie nicht machen. Ich werde darüber berichten– über diese Form von Zensur, über die brutalen Methoden der Polizei, über Ihren Machtmissbrauch. Ich werde dafür sorgen, dass Sie so viel Ärger bekommen, dass Sie nie wieder als Polizeibeamter arbeiten werden.«
» Oh nein, meine Liebe, Sie haben da was falsch verstanden. Ich
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