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Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing

Titel: Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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erste Frage musste ich nicht auf den Zettel in meiner Hand schauen. » Woher kanntet ihr denn Jenny, dein Bruder und du?«
    » Hab ich Ihnen doch schon gesagt.« Paul sprach langsam und deutlich und verschluckte jeweils die Wortenden. Sein Gesicht hatte wieder Farbe angenommen, und er war sichtlich genervt.
    » Ich weiß, Paul«, erwiderte ich besänftigend. » Ich erinnere mich daran, aber die Polizeibeamten nicht. Sag’s mir einfach noch einmal, damit sie es auch erfahren.«
    » Schule«, murmelte Paul schließlich und sah mich finster an.
    » Aus der Grundschule«, stellte ich klar.
    » Ja doch. Wir waren Schulfreunde. Ich hab ihr in Mathe geholfen, und sie… sie war halt nett zu mir.«
    » Und als sie dann auf eine andere Schule gekommen ist, seid ihr in Kontakt geblieben?«
    Er zuckte die Schultern. » Sie wusste halt, wo ich wohne– wir hatten uns darüber unterhalten, weil wir die Einzigen in der Klasse aus der Siedlung waren. Eines Tages hat es dann an der Tür geklopft, und da stand sie. Hatte Probleme in Geometrie– hat’s eben einfach nicht gerafft– und wollte wissen, ob ich ihr das zeigen kann.«
    » Und das hast du gemacht«, sagte ich.
    » Ja.« Sein Tonfall war gereizt und leise. Er klang aufgebracht, soweit man das bei seiner Heiserkeit beurteilen konnte.
    » Du hast also bei euch zu Hause Zeit mit Jenny verbracht. Und ihre Eltern wussten nichts davon.«
    » Ihr Dad konnte mich nicht leiden. Hat mich immer bloß fetter Idiot genannt.« Paul stiegen die Tränen in die Augen, die er schniefend wegblinzelte.
    » Wie hat sie es denn dann geschafft, zu dir nach Hause zu kommen?«
    » Sie hat ihnen gesagt, dass sie ihre Freundinnen besucht. Eine davon wohnte bei ihr in der Nähe. Dorthin durfte sie mit dem Fahrrad fahren– haben sie zumindest gedacht. Sie hatte ja ein Handy. Das wollte ihr Dad unbedingt, damit er ihr nachspionieren kann. Sie hat ihnen dann immer was vorgelogen, wo sie angeblich gerade war.« Bei dem Gedanken daran kicherte Paul. » Wenn sie angerufen haben, hat sie manchmal gefragt, ob sie die Mutter von der Freundin sprechen wollen. Und ich hab dann immer dagesessen und mir fast in die Hosen gemacht vor Lachen. So war sie halt, immer lustig drauf und für Späße zu haben.«
    Ich nickte und schaute auf meinen Fragenkatalog. Es fiel mir schwer, die Worte auszusprechen, aber ich konnte es ja nicht ewig vor mir herschieben.
    » Paul, du weißt ja, dass die Polizei… Sachen in euerm Haus gefunden hat. Bilder und Videos, auf denen Jenny so Dinge tut. Hast du… Ich meine, war es… Bist du zuerst auf diese Idee gekommen?«
    Er sah gekränkt aus und schüttelte mit bebenden Wangen den Kopf. » Nein. Das kam nur von den beiden, von ihm und ihr.«
    » Von ihm?«
    » Von Danny. Ich hab ihm ja gesagt, dass es nicht richtig ist. Er hätte ihr nie zu nahe kommen dürfen, egal was sie gesagt hat. Er ist doch viel zu alt für sie.« Paul versuchte mühsam sich aufzusetzen und trat dabei widerwillig mit den Beinen um sich. Um nicht getroffen zu werden, stand ich hastig auf.
    » Beruhige dich, Paul. Trink noch einen Schluck Wasser.«
    Zitternd holte er ein paarmal tief Luft und trank dann ergeben etwas. Das Wasser gurgelte beim Schlucken, ansonsten gab niemand im Raum einen Laut von sich. Ich konnte förmlich spüren, dass die Polizisten händeringend darauf warteten, dass ich endlich aufhörte, um den heißen Brei herumzureden.
    » Irgendwann muss dann etwas passiert sein«, sagte ich ruhig und setzte mich wieder, » weil sie sich mit deinem Bruder eingelassen hat, oder?«
    » Weißnich«, entgegnete Paul. Sein Gesicht war dunkelrot.
    » Hatte sie Angst vor ihm?« Ich versuchte so sanft wie möglich mit ihm zu reden. » Ist sie deshalb immer wieder gekommen? Hat er sie bedroht?«
    » Nein, überhaupt nicht«, antwortete Paul. » So war das gar nicht. Sie… Sie hatte ihn gern.«
    » Also war er für sie so etwas wie ihr Freund.«
    » Schätze schon. Irgendwie komisch, weil er ja total viel älter ist als sie.« Paul seufzte. » Für Danny war sie nicht wichtig. Jedenfalls nicht besonders. Sie… war einfach gern mit ihm zusammen. Sie hätte alles für ihn getan.«
    Dieses » alles« öffnete der Erniedrigung Tür und Tor. Mein Mund wurde ganz trocken, ich musste schlucken und versuchte mich auf meine Aufgabe zu konzentrieren. Blake hatte bezweifelt, dass ich dazu in der Lage sein würde, doch ich wollte ihm das Gegenteil beweisen. Ich brauchte ein paar Atemzüge, ehe die Bilder wieder aus meinem

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