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Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing

Titel: Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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Charlie anders als seine üblichen Opfer. Er war mutig und klug und hatte ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern. Er wusste, dass es falsch war, was gerade passierte. Er würde sich nicht beschwichtigen oder mit Drohungen zum Schweigen bringen lassen. Wahrscheinlich geriet Derek in Panik, weil ihm klar wurde, dass er in echte Schwierigkeiten geraten würde, wenn Charlie nach Hause ging und sich seinen Eltern anvertraute. Als Danny und seine Mutter vom Einkaufen nach Hause kamen, war Charlie bereits tot.«
    Das letzte Wort schlug dumpf in die absolute Stille, die im Wohnzimmer herrschte. Mum lehnte sich mit der Hand auf der Brust in ihrem Sessel zurück. Sie sah sehr erschöpft aus. Obwohl ich es so erwartet hatte– obwohl ich es schon seit Jahren wusste–, spürte ich den Schock der Gewissheit.
    » Derek war nicht unbedingt clever zu nennen, aber er war durchtrieben und verfügte über einen gewissen Selbsterhaltungstrieb.« Nach einer kurzen, respektvollen Unterbrechung fuhr Vickers fort. » Er wusste, dass Sie und Ihr Mann, Mrs. Barnes, sehr bald Alarm schlagen würden, wenn Charlie nicht nach Hause käme. Er versteckte Charlies Leichnam zunächst im Kofferraum seines Autos– was, nebenbei bemerkt, der riskanteste Teil seines Planes war, da das Auto in der Einfahrt zu seinem Haus stand. Die Häuser hier haben ja keine Garagen, also waren diesbezüglich kaum Heimlichkeiten möglich. Doch er hatte Glück, und niemand beobachtete ihn. Als Danny und seine Mutter nach Hause kamen, deutete wohl nur Dereks merkwürdige Stimmung darauf hin, dass etwas nicht stimmte. Er war nervös und abwesend. Er schickte Ada fort, sie sollte den Abend bei Bekannten verbringen und es sich bloß nicht einfallen lassen, nach Hause zu kommen, bevor er ihr Bescheid gab. Sie versuchte noch, Danny mitzunehmen, doch das untersagte Derek mit der Begründung, er brauche die Hilfe seines Sohnes. Auch wenn Ada später den Verdacht hegte, dass ihr Mann für Charlies Verschwinden verantwortlich war, sprach sie doch nie mit Danny oder sonst jemandem darüber, soweit wir das beurteilen können.«
    Mum nickte mit leerem Blick. » Aber sie muss etwas geahnt haben. Sie hat mir Blumen gebracht, erinnere ich mich«, murmelte sie, mehr zu sich selbst. » Rosa Nelken. Dabei ist ihr kein Wort über die Lippen gekommen. Es waren rosa Nelken.«
    Da ich wusste, dass Mum stundenlang so reden konnte, schnitt ich ihr kurzerhand das Wort ab. » Danny blieb also zu Hause. Wann wurde ihm klar, was passiert war?«
    » Als sein Vater ihm Charlies Leichnam zeigte«, antwortete Vickers bitter. » Derek wartete, bis es dunkel war, was schwierig gewesen sein muss, da die Tage nun mal zu dieser Jahreszeit sehr lang sind. Dann zwang er Danny, mit ihm ins Auto zu steigen. Sie fuhren ein paar Kilometer in Richtung Dorking, also in eine ziemlich verlassene Gegend. Dort führte hinter einer kleinen Häusersiedlung ein schmaler Pfad entlang, von dem aus man ein Tor hinunter zu den Schienen erreichte, das von den Gleisarbeitern benutzt wurde. Einer von Dereks Bekannten war bei der Bahn als Wartungsarbeiter beschäftigt und hatte ihm davon erzählt. Dieser Pfad war von den Häusern her nicht einsehbar, da dort der Bahndamm sehr dicht mit Bäumen und Sträuchern bewachsen ist. Darüber hinaus gehörten die Gleise zu einer Nebenstrecke, die zu jener Zeit nicht bedient wurde. Bestens geeignet also, um eine Leiche loszuwerden.« Vickers seufzte. » Ich denke, Danny hat nie den Schock verwunden, den er erlebt haben muss, als er den Kofferraum öffnete und seinen besten Freund tot darin liegen sah. Derek hatte ihn nicht ansatzweise vorgewarnt, sondern ihn nur angewiesen, Taschenlampe und Schaufel zu tragen, während er Charlie zum Bahndamm trug.«
    Ich brachte es nicht fertig, das Mitleid zu empfinden, das Vickers offenbar erwartete. Ja, sicher war das traumatisch für Danny gewesen. Und er hatte eine grauenhafte Kindheit gehabt. Zugegeben. Aber er hatte meine Eltern in lähmender Ungewissheit über das Schicksal ihres Sohnes gelassen. Er hatte das Geheimnis seines Vaters bewahrt, selbst als Erwachsener noch. Mit der Wahrheit war er erst herausgerückt, als er nicht mehr anders konnte. Hätte ich Charlies Halsband nicht entdeckt, wäre Vickers nie darauf gekommen, ihn danach zu befragen, und Mum hätte weiter in ihrer sinnlosen Hoffnung gelebt und wäre Tag für Tag ein Stückchen mehr gestorben. Und schließlich durfte man Jenny nicht vergessen. Danny hatte die Lektionen seines Vaters

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