Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing
mich.
» Das Zeug funktioniert nie. Meiner Erfahrung nach bekommt man entweder den entscheidenden Tipp oder man stolpert über die Leiche, das ist alles. Aber wir haben Danny, und er zeigt sich sehr kooperativ. Machen Sie sich mal keine Sorgen, wir werden Charlie schon finden.«
Er erhob sich unter dem lautstarken Protest seiner Gelenke, die krachten wie Pistolenschüsse, und streckte meiner Mutter die Hand hin. » Ich weiß, dass das ein furchtbarer Schock für Sie sein muss, Mrs. Barnes. Dürfte ich vorschlagen, dass meine Kollegin Sie erst mal mit einem Tee versorgt?«
» Ich bin nicht…«, setzte Mum an, doch er schnitt ihr sanft das Wort ab.
» Bevor wir uns auf den Weg machen, würde ich gern noch ein paar Worte mit Sarah wechseln, wenn Sie nichts dagegen haben.«
Die Beamtin stand gleich neben Mums Ellbogen, und auf ein Nicken von Vickers half sie ihr beim Aufstehen. Ich war darauf gefasst, dass Mum mit ihnen zu streiten anfing, und daher umso überraschter, als sie der Frau widerstandslos zur Tür folgte. Als sie dort ankam, blieb sie noch einmal stehen– mit einer Hand am Türrahmen, entweder um sich festzuhalten oder um dramatischer zu wirken, oder auch beides.
» Ich habe Ihnen zu danken, Chief Inspector Vickers.«
» Nicht nötig. Überhaupt nicht nötig.« Vickers schob die Hände in die Hosentaschen und zog den Kopf ein. » Wenn Sie noch Fragen haben oder sich noch einmal vergewissern wollen, rufen Sie mich bitte an. Sarah hat meine Telefonnummer. Wir informieren Sie, sobald wir etwas gefunden haben.«
Kaum wusste er Mum sicher in der Küche hinter einer geschlossenen Tür, steuerte Vickers auf den Ausgang zu, und ich folgte ihm.
» Er hat den Mord an Jenny nicht gestanden, für den Fall, dass Sie sich das noch nicht selbst zusammengereimt haben.«
» Warum bin ich jetzt eigentlich nicht überrascht?« Ich verschränkte fest meine Arme und versuchte mich damit auch vor der Kälte zu schützen. Gerade find es wieder an zu regnen, und dicke Tropfen fielen rings um uns her wie Hammerschläge zu Boden.
» Das mit dem Sex war natürlich alles ihre Idee. Er hat nur mitgemacht, weil er damit ein bisschen Geld machen wollte– sein Job gibt eben nicht so viel her.« Vickers klang sarkastisch. » Die diversen Vergewaltiger hat er aus den Reihen der ehemaligen Kumpane seines Vaters rekrutiert. Offenbar hatten sie eines gemeinsam– ihre Vorliebe für Kinder.«
» Ich glaube nicht, dass ich noch mehr hören will«, sagte ich, und meine Zähne fingen an zu klappern.
» Was er uns gesagt hat, bestätigt Pauls Aussagen– er hat das alles nur für Sie getan.«
» Großer Gott…«
» Offenbar glaubte er immer, nicht gut genug für Sie zu sein. Für ihn standen Sie unerreichbar auf einem Podest. Also fing er an, seine Fantasien mit Jenny auszuleben, die es nicht besser wusste. Er ist unreif. Defizitär. Er hat Angst vor Frauen. Kinder sind für ihn leichter zu handhaben.«
» Verstehe«, brachte ich hervor. » Vielen Dank für die Erklärung.«
Vickers nickte. » Ich weiß, dass es Ihnen lieber gewesen wäre, wenn ich Ihnen das erspart hätte, aber es ist besser so. Es muss offen gesagt werden. Es wird ohnehin ans Licht kommen, wenn der Fall vor Gericht verhandelt wird– Sie müssen sich auf das öffentliche Interesse vorbereiten.«
» Muss ich als Zeugin auftreten?« Ich konnte mir nichts Schlimmeres vorstellen, als vor Gericht zu stehen, Danny zu beschuldigen und ihm in die Augen zu sehen…
» Hängt von der Staatsanwaltschaft und den Anwälten ab, aber ich wüsste nicht, warum. Sie haben ja im Grunde nichts Relevantes beizutragen, finde ich. Jetzt, wo Danny gestanden hat. Es ist ja nicht so, dass Sie da drüben je etwas Ungewöhnliches bemerkt hätten.« Ruckartig wandte er den Kopf in Richtung Hausnummer 7.
» Nein«, bestätigte ich wie betäubt. » Mir ist wirklich nichts aufgefallen.« Ich war in meiner eigenen Tragödie gefangen und dadurch blind für die nächste, die sich im Haus gegenüber abspielte. Ich hatte den Kopf hängen lassen, den Blick abgewendet und sämtliche Anzeichen übersehen.
Vickers lehnte sich an mir vorbei und rief: » Anna!«
Die Küchentür öffnete sich, und seine Kollegin kam herausgeeilt. Sie wirkte erleichtert. Vickers machte sich auf den Weg zu seinem Auto, und ich folgte ihm noch einmal, während ich mir die Ärmel meines Pullovers über die Hände zog.
» Inspektor, was ich noch sagen wollte– vielen Dank, dass Sie vor meiner Mutter nichts von Danny
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