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Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing

Titel: Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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sie zusammenzuziehen.
    Einen Moment lang herrscht Stille. Danny starrt mich an, und ich starre geblendet zurück.
    » Geh nach Hause, Sarah«, sagt Danny mit erstorbener Stimme. » Geh nach Hause, und mach das nie wieder. Du bist noch ein Kind. Benimm dich gefälligst auch so. Das ist nichts für dich. Und jetzt scher dich nach Hause.«
    Ich drehe mich um und laufe los. Ich renne über die Wiese, als ob mich jemand verfolgt. Dann höre ich hinter mir ein dumpfes Geräusch, und noch eins. Ich muss mich einfach umdrehen und sehen, was los ist. Danny hockt neben Mark. Langsam und systematisch schlägt er ihm mit seiner schweren Taschenlampe die Schneidezähne aus, während Mark schreit und schreit.
    Ich renne weiter, und dabei werden mir zwei Dinge klar. Mark wird nie wieder mit mir reden. Und ich werde Danny nie wieder ins Gesicht sehen können, solange ich lebe.

16
    Es war nicht das erste Mal, dass ich neben meiner Mutter auf dem Sofa saß und nicht die leiseste Ahnung hatte, was sie dachte. Offenbar konzentrierte sie sich vollkommen auf den Fernseher, wo gerade eine Quizsendung lief, die ich noch nie gesehen hatte und deren Konzept mir schleierhaft war. Die grelle Studiodekoration und das Geschrei des Publikums gingen mir auf die Nerven. Es wäre mir lieber gewesen, ganz in Ruhe dazusitzen. Mein Mund fühlte sich trocken an, und ich verspürte eine enorme innere Unruhe. Nervös rutschte ich auf meinem Platz hin und her und pulte unaufhörlich an der Armlehne unseres betagten Plüschsofas herum. Das tat dem Möbel zwar nicht gerade gut, aber wenigstens konnte es auf diese Weise noch einen Beitrag zu meiner Nervenberuhigung leisten. Die Beine hatte ich angezogen, um nicht ständig mit den Füßen im Rhythmus meines heftig schlagenden Herzens auf den Boden zu klopfen, doch nun kribbelten sie, und es stach wie tausend Nadeln. Mein Magen krampfte, denn ich hatte schon seit Stunden nichts mehr gegessen– allein der Gedanke an etwas Essbares war mir zuwider. In meinem Kopf rotierte unablässig ein einziger Gedanke: Was hat er gesagt?
    Der Anruf war vor zwanzig Minuten gekommen, nach einem langen Tag endlosen Wartens. Es war Vickers, der sich sehr höflich erkundigte, ob meine Mutter zu Hause sei und ob er kommen und mit uns beiden sprechen könne, da er Informationen habe, an denen wir sicher beide interessiert seien. Sagen Sie es mir jetzt gleich, hatte ich nahezu gebettelt, obwohl ich wusste, dass das nichts nützte. Aus seiner Stimme sprach dienstliche Unverbindlichkeit, und ob es nun Absicht war oder nicht, fühlte ich mich wieder einmal ausgeschlossen. Ich befand mich wieder auf der falschen Seite der Trennwand zwischen Polizei und Zivilleben.
    Unmittelbar nach dem Telefonat mit Vickers hatte ich Mum vorgewarnt. Ich hatte ihr gesagt, dass uns die Polizei zum zweiten Mal in Folge aufsuchen würde, was im Zusammenhang mit Charlies Verschwinden stand. Sie hatte kein bisschen überrascht gewirkt, keine Hand auf der Brust, keine weit aufgerissenen Augen, kein plötzlicher Bluthochdruck. Sie hatte schon so lange darauf gewartet. Ich konnte nur vermuten, dass dieser Moment in ihren Gedanken schon weitaus öfter abgelaufen war, als ich ahnte, und wahrscheinlich konnte sie nichts mehr dabei überraschen. Sie saß neben mir, so fern und unerreichbar wie die Sterne, und ich fand einfach nicht die richtigen Worte, um nachzufragen, wie es ihr ging. Nicht einmal über die Hausdurchsuchung tags zuvor und die Fragen, die ihr dabei gestellt wurden, hatte sie mit mir gesprochen. Als ich aus dem Krankenhaus kam, hatte ich eine ganze Weile in meinem Zimmer gestanden und alles genau betrachtet. Ich versuchte, es mit Blakes Augen zu sehen und überlegte, was geöffnet und von der Stelle gerückt war. Mein Zimmer wirkte fremd auf mich– irgendwie verändert, und als ich schließlich hinausging, blieb ein Gefühl der Enge in mir zurück, das die Beschämung überlagerte, mit der ich seit der Nachricht von der Durchsuchung zu kämpfen hatte.
    Und nun saß ich da und wartete, dass die Polizei wiederkam, diesmal allerdings voller Ungeduld. Als sie dann endlich klingelten, war ich nicht einmal im Wohnzimmer, sondern kurz in die Küche gegangen, um den Wasserkessel aufzusetzen und uns einen Tee zu kochen, den wir beide eigentlich gar nicht trinken wollten. Außerhalb von Mums Sichtweite konnte ich endlich unruhig auf und ab laufen und so nervös sein, wie ich wollte. Das langgezogene Pfeifen des Wasserkessels überdeckte alle übrigen

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