Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing
sich hinsichtlich der Todesursache recht sicher.«
Meine Gedanken schossen zu der Fundstelle im Wald zurück, wo Jenny vollständig bekleidet in einer Senke gelegen hatte und weit und breit kein Wasser zu sehen gewesen war, nicht mal eine Pfütze. Wo immer sie ertrunken sein mochte, es war jedenfalls nicht die Stelle, an der ich sie gefunden hatte.
Vickers sprach immer noch, und ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um ihn besser hören zu können. » Wir wissen noch nicht, wo und unter welchen Umständen Jenny gestorben ist. Aus diesem Grund hat sich ihr Vater Michael Shepherd einverstanden erklärt, sich mit einem Appell an die Öffentlichkeit zu wenden, falls es irgendwo einen Menschen gibt, der uns sagen kann, wo sich Jenny zwischen Samstagabend gegen achtzehn Uhr und Sonntagnacht aufgehalten hat.«
» Sonntagnacht«, wiederholte einer der Journalisten. » Sie nehmen also an, dass sie in dieser Zeit gestorben ist?«
Vickers schüttelte bedächtig den Kopf. » Darüber sind wir uns derzeit noch nicht im Klaren. Wir warten auf weitere Informationen aus der Pathologie, doch dies ist der Zeitrahmen, der momentan von Interesse ist.
Wir wollen wissen, wo Jenny zu dieser Zeit gewesen ist und mit wem sie möglicherweise zusammen war. Wir wollen wissen, ob jemand sie gesehen hat, ob sich jemand verdächtig benimmt oder sich nach dem Wochenende eigenartig verhalten hat. Wir sind an jedweder Information interessiert, die uns zu ihrem Mörder führen könnte, ganz egal wie unwichtig sie im Moment vielleicht erscheint.«
Als das Wort » Mörder« fiel, schluchzte Diane Shepherd auf. Augenblicklich entlud sich in der Aula ein Blitzlichtgewitter. Ihr Mann sah sie kurz an und faltete ein Blatt Papier auseinander, das er mit beiden Händen auf dem Tisch vor sich glatt strich. Obwohl ich so weit hinten stand, konnte sogar ich deutlich erkennen, wie seine Finger zitterten. Auf ein Nicken der Polizeisprecherin hin begann er zu lesen, ein wenig stockend zwar, aber er hatte sich gut im Griff.
» Unsere Tochter Jenny war erst zwölf Jahre alt. Sie war ein wunderbares Mädchen, immer freundlich und gut gelaunt. Sie wurde uns viel zu früh genommen. Es ist ein entsetzlicher Albtraum, und jeder, der Kinder hat, wird das verstehen. Sollten Sie etwas über dieses Verbrechen wissen, selbst wenn es nur eine Kleinigkeit ist, teilen Sie es bitte der Polizei mit. Nichts vermag uns Jenny zurückzubringen, aber wir können zumindest versuchen, Gerechtigkeit für sie zu erlangen. Ich danke Ihnen.«
Als er fertig war, holte er tief Luft und nahm seine Frau, die jetzt hemmungslos weinte, in die Arme. Valerie eilte nach vorn und flüsterte Michael Shepherd etwas ins Ohr. Dieser nickte und half seiner Frau aufzustehen. Gemeinsam folgte das Paar Valerie zu einer Seitentür und verließ die Aula. Sobald sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, brachen die Journalisten in ein heilloses Durcheinander von Fragen aus.
» War da ein Pädophiler am Werk?«, übertönte einer die Stimmen der anderen. Vickers lehnte sich zurück und sammelte sich erst einmal, ehe er antwortete.
» Das wissen wir noch nicht…«, hörte ich noch, als ich die Tür, durch die ich gekommen war, öffnete und mich wieder aus der Aula schlich. Noch mehr Spekulationen konnte ich heute nicht mehr verkraften. Die Journalisten taten einfach, was man von ihnen erwartete, aber ich fand die Atmosphäre im Saal unerträglich. Die Shepherds taten mir unendlich leid, und außerdem war ich zum Umfallen müde. Den Rest der Pressekonferenz hätte ich vermutlich nicht überstanden.
Gedankenversunken wie ich war, hatte ich nicht bemerkt, dass die Shepherds, angeführt von Valerie, mir entgegenkamen und schon fast an mir vorbeigegangen waren. Ich stand am Haupteingang, der direkt zum Parkplatz führte, wo ihr Auto bereitstand.
» Mr. Shepherd«, sagte ich spontan, » mein herzliches Beileid.«
Er wandte mir den Kopf zu und musterte mich mit feindselig düsterem Blick, sodass ich mich erschrocken gegen die Wand drückte. Mit einem angedeuteten, arroganten Nicken in meine Richtung geleitete Valerie die beiden weiter, und ich schaute ihnen mit offenem Mund hinterher. Dann ging mir schlagartig ein Licht auf. Natürlich– er wusste genau, wer die Leiche entdeckt hatte, jemand wird es ihm gesagt haben. Ich war diejenige, die ihnen den letzten Funken Hoffnung geraubt hatte, man könne ihre Tochter doch noch unversehrt finden. Plötzlich war es nachvollziehbar für mich, warum mein Anblick
Weitere Kostenlose Bücher