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Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing

Titel: Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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fast jeden Tag gesehen, hatte mit ihr hunderte Male gesprochen. Das hier war keiner von diesen Fällen, bei denen die an die Presse herausgegebenen Bilder schon längst nichts mehr mit der Realität zu tun hatten, wo sich die Opfer vor ihrem unglückseligen Ende in Drogen oder Krawall geflüchtet hatten. Jenny sah wirklich aus wie das nette, freundliche Kind auf dem Foto. Ich hatte sie für unschuldig, unbeschwert und aufrichtig gehalten. Wie hatte ich mich nur derart täuschen können?
    Der ernsthaft und seriös wirkende Moderator fasste kurz zusammen, was bislang über Jennys Tod öffentlich bekannt war. Der Filmbeitrag begann mit Aufnahmen von der Pressekonferenz, im Bild erschienen zuerst Vickers und dann die Shepherds selbst. Im grellen Scheinwerferlicht traten ihre dunklen Augenringe und die Furchen um Michael Shepherds Mund unbarmherzig hervor. Ich hoffte inständig, dass diese Bilder jemanden dazu veranlassen würden, sich bei der Polizei zu melden– ganz egal was Blake darüber gesagt hatte. Dann wurde die Reporterin vor Ort eingeblendet, hinter ihr sah man das Schulgebäude. Ich erkannte sie von der Pressekonferenz wieder; sie hatte relativ weit vorne gesessen. Ich hatte sie recht attraktiv gefunden, mit geschwungenen dunklen Augenbrauen, markanten Wangenknochen und einem breiten Mund. Ihr rotes Oberteil und das schwarz glänzende Haar machten sich auch vor der Kamera gut und wirkten im Scheinwerferlicht sehr lebendig. Ihre Stimme klang wohlmoduliert, sie drückte sich gekonnt aus und sprach dialektfrei. Ich zwang mich, auf den Inhalt ihrer Worte zu achten.
    » Wir kennen jetzt also die Identität des Opfers, Jenny Shepherd, und wissen, wie sie gestorben ist. Doch selbst wenn die Polizei über weitere Erkenntnisse verfügt, gibt sie nichts davon bekannt. Unklar ist nach wie vor, wo sie ertrunken ist und wie sie in das nahe gelegene Waldstück gelangte und ebenso die drängendste Frage: Wer hat sie umgebracht?«
    Danach wurde gezeigt, wie die Shepherds das Schulgebäude betreten, ihnen voraus Valerie, die ihnen wie ein kräftiger kleiner Eisbrecher den Weg durch die Menschenmenge bahnt. Dazu war weiter die Stimme der Reporterin aus dem Off zu hören: » Für die Eltern und Angehörigen von Jenny ein quälendes Martyrium. Für ihre Mitschülerinnen«– an dieser Stelle wurde eine Gruppe von eng beieinanderstehenden, schluchzenden Mädchen eingeblendet– » eine erschreckende Mahnung, dass die Welt ein Ort der Gewalt ist. Und für alle, die Jenny kannten, ein schrecklicher Verlust.« Während sie diese drei letzten Worte sagte, wechselte das Bild erneut. Entsetzt erkannte ich Geoff Turnbull, der eine verzweifelte junge Frau im Arm hielt. Sie war klein und zierlich, blonde Locken hingen ihr auf den Rücken herab. Das war ich! Sämtliche Muskeln in meinem Körper krampften sich vor Scham zusammen. Von allen Aufnahmen, die sie gemacht hatten, von all diesen emotionalen Bildern mussten sie ausgerechnet diese Szene verwenden! Ich wusste noch genau, wie mir in diesem Moment zumute war und dass ich eigentlich nur wegwollte. » Nicht zu fassen«, murmelte ich lautlos und schüttelte den Kopf. Mum starrte wie versteinert auf den Bildschirm.
    » Vielen Dank, Louisa Shaw in Surrey«, sagte der Moderator und schaute in eine andere Kamera, während hinter ihm ein laufender Wasserhahn eingeblendet wurde.
    Ich wartete darauf, dass Mum einen Kommentar dazu abgab, dass soeben ihre Tochter in den Nachrichten zu sehen war, doch sie blickte noch immer stur geradeaus, voll und ganz versunken in einen Beitrag über Wassergebühren. Vielleicht hatte sie mich ja gar nicht erkannt. Das ersparte mir wenigstens wortreiche Erklärungen. Ich war unglaublich müde. Ich hatte die Nase voll von diesem Tag, von dieser Woche, von allem. » Ich gehe jetzt schlafen, Mum.«
    » Gute Nacht«, erwiderte sie mechanisch und hatte offenbar nicht bemerkt, dass es draußen noch gar nicht richtig dunkel war und ich dem Tagesablauf zwei Stunden voraus war. Ich ließ sie allein vor dem Fernseher sitzen. Ich hätte wetten können, dass sie an nichts anderes dachte als an Charlie.
    Im Bad war die Glühlampe in der Fassung über dem Waschbecken durchgebrannt. Die Deckenlampe warf einen grauweißen Schein, der meine Haut totenblass erscheinen ließ, meine Lippen bläulich färbte und meine Augen dunkel und trüb machte. Ich schaute mich im Spiegel an und fühlte mich an Jenny erinnert. Einen Moment lang sah ich sie vor mir, wie sie lebendig ausgesehen

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