Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing
bescheinigt wurde, über keinerlei mathematisches Verständnis zu verfügen, nicht das geringste…
Vickers fuhr fort. » Jetzt glauben Sie aber bloß nicht, ich schließe daraus, dass derjenige, der Jenny umgebracht hat, auch für das hier verantwortlich ist. Das ist eine Variante, der wir natürlich nachgehen werden, aber ich lege mich bestimmt nicht darauf fest, verstehen Sie? Es gibt jede Menge Möglichkeiten, wie diese zwei Verbrechen miteinander zusammenhängen können, Sarah. Jede Menge.«
Ich registrierte einen Seitenblick seiner scharfen Augen, und wie eine brave Schülerin nannte ich einen Vorschlag. » Rache?«
» Ganz recht.« Onkelhaft strahlte er mich an. » Unser lieber Geoff könnte bis zum Hals in die Sache mit Jenny verwickelt sein. Um zu diesem Schluss zu kommen, braucht man kein Genie zu sein. Wie ich gehört habe, ist er ein ziemlicher Draufgänger. Uns ist bekannt, dass Jenny mit jemandem geschlafen hat. Und er hatte sicherlich Gelegenheit, sie kennen zu lernen, ihr zu erzählen, dass sie etwas ganz Besonderes sei, und sie gefügig zu machen. Wäre ja schließlich nicht das erste Mal, dass ein Lehrer zugreift, nicht wahr?«
» Aber das passt nicht zu dem, was Jenny ihrer Freundin Rachel erzählt hat«, widersprach ich. » Oder zu den Fotos, die sie ihr gezeigt hat.«
» Ich würde nicht unbedingt«, sagte Vickers bedächtig, » alles glauben, was Rachel uns erzählt hat. Jenny kann sie belogen haben, um sie abzulenken. Und Rachel könnte uns auch jetzt noch die Unwahrheit sagen. Vielleicht versucht jemand, uns auf eine falsche Fährte zu locken. Wir haben schließlich weder das Foto noch irgendetwas anderes gefunden, das uns beweist, dass Rachel die Wahrheit gesagt hat.«
Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass Geoff mit Jenny geschlafen hatte. So einer war er nicht. Aber mir war klar, dass Vickers mir kaum mehr Glauben schenken würde als Rachel. » Jenny war schwanger. Lässt sich denn nicht mit einem DNA-Test feststellen, ob er der Vater war?«
» Keine Sorge, schon passiert. Aber es dauert eine Weile, bis wir das Ergebnis haben. Davon abgesehen geht es im Moment gar nicht um die Frage, ob Geoff Turnbull tatsächlich Jenny Shepherd missbraucht hat, sondern ob jemand glaubt, dass er es getan hat. Jemand zählt eins und eins zusammen. Vielleicht hat dieser Jemand ein paar Informationen mehr als wir. Vielleicht ist es ja auch nur eine Vermutung. Aber wie dem auch sei: Jemand will unbedingt Gerechtigkeit für Jenny und ist nicht bereit zu warten, bis die Gesetzeshüter das endlich hinbekommen.«
Vor meinem geistige Auge tauchte Michael Shepherd auf, ein von Gram verzehrter Mann mit finsterem Blick, und ich wusste genau, dass Vickers dasselbe sah. Ich konnte mir vorstellen, welche Sprengkraft entfesselt werden konnte, wenn solche geballten Gefühle von Wut, Schuld und Verdächtigungen ein Ziel fanden.
» Andy wird demnächst ein paar Worte mit den möglichen Interessenten wechseln«, sagte Vickers mit einem Nicken in Blakes Richtung. » Wir können nicht einfach losgehen und sie ohne jeden Beweis mitten in der Nacht aufwecken, aber einen kleinen Plausch sollte es schon wert sein, finden Sie nicht auch?«
Es war mir durchaus klar, wie sich all das ineinanderfügte, trotzdem hegte ich starke Zweifel. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass Geoff fähig sein sollte, ein Kind zu missbrauchen– und das nicht nur, weil er so fixiert auf mich war. Es passte einfach nicht zu dem, was ich über ihn wusste, über die leidenschaftliche Zuneigung, die er Frauen– und eben nicht kleinen Mädchen– entgegenbrachte. Ich fand es unbegreiflich, dass er sie missbraucht haben sollte, und gänzlich undenkbar, dass er sie umgebracht haben könnte. Andererseits hatte ich ihn nur wenige Stunden zuvor sehr unkontrolliert erlebt, sodass es mir ebenso schwer fiel, die Bedenken zu zerstreuen, die das in mir auslöste. Genau genommen wusste ich ja gar nicht, wozu Geoff fähig war. Ich musste davon ausgehen, dass er sich etwas hatte zuschulden kommen lassen– warum sonst sollte er jetzt mit eingeschlagenem Schädel im Krankenhaus liegen?
Außerdem fühlte ich mich auch selbst schuldig. Für Vickers wäre sicher eine weitere Gewalttat von großem Interesse, nämlich der Überfall auf meine Person. Obwohl ich sein Vertrauen in die Macht des Zufalls nicht teilen konnte, wäre dieser Vorfall natürlich ein weiteres Element in dem Gesamtbild, an dem er gerade arbeitete. Doch kaum hatte ich den Mund
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