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Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing

Titel: Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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leidenschaftlich sagte ich: » Vergessen Sie’s. Ich lasse mich da nicht hineinziehen. Ich habe damit nichts zu tun und weiß wirklich nicht, warum sich die Umstände so gegen mich verschworen haben, dass Sie mir das nicht glauben. Ich weiß nur, dass ich von Anfang an alles getan habe, um zu den Ermittlungen beizutragen. Ich weiß nicht, warum das mit Geoff passiert ist oder warum Jenny ermordet wurde. Wenn ich es wüsste, hätte ich es Ihnen schon längst gesagt.«
    » Wir werden sehen«, sagte Vickers mit frostigem Blick. » Wir werden sehen.«
    » Brauchen Sie mich noch?«
    » Vorerst nicht. Aber gehen Sie davon aus, dass wir mit Ihnen in Kontakt bleiben.« Vickers machte sich auf den Weg zu Blakes Auto. » Keine langen Urlaubsreisen, bitte.«
    Ich stakste ins Haus zurück. Im Flurspiegel sah ich meine zornig funkelnden Augen und mein wirres Haar. Die Lippen hatte ich zu einem Strich zusammengepresst, und es kostete mich einige Mühe, sie zu entspannen. Mir war bewusst, dass Vickers mich aus dem Konzept bringen wollte, und das war ihm auch gelungen. Der Raubüberfall war ein reines Täuschungsmanöver, aber das konnte ich ihm im Moment nicht sagen– dabei hätte ich genügend Gelegenheiten dazu gehabt. Nun verschwieg ich der Polizei also etwas, fühlte mich deswegen schuldig und wirkte daher wohl auch schuldbewusst. Ich musste mächtig aufpassen, dass die ganze Geschichte nicht total aus dem Ruder lief.
    Eine Sache, über die ich wirklich nicht nachdenken wollte, war die mit Geoff. Doch kaum hatte ich mir das klargemacht, kreisten meine Gedanken um nichts anderes. Ich schaute auf die Küchenuhr, wie spät es war– fast fünf– und ließ die Absicht fallen, wieder schlafen zu gehen. Während ich mir eine große Tasse Tee machte, ging ich die Fakten noch einmal ganz in Ruhe durch. Geoff lag im Krankenhaus. Das war schlecht. Sehr schlecht sogar. Er hatte Kopfverletzungen. Bei dieser Vorstellung krampfte sich mein Magen zusammen. Er konnte sterben. Er konnte überleben, wenn auch knapp. Er konnte eine dauerhafte Schädigung davontragen. Er konnte wieder vollständig genesen. Ich versuchte mir einzureden, dass die letzte Variante die wahrscheinlichste war, aber ich wusste es natürlich nicht. Blake und Vickers hatten finster dreingeschaut, als sie von ihm sprachen. Ich rührte Milch in den Tee und hatte eigentlich gar keinen Appetit mehr darauf, doch das Ritual gab mir etwas zu tun. Wollten sie mir ein schlechtes Gewissen einreden, damit ich ihnen alles sagte, was ich wusste?
    Ich setzte mich an den Küchentisch und sah den Dampfwölkchen zu, die aus meiner Teetasse aufstiegen. Das Ironische dabei war, dass ich Vickers zwar angefaucht hatte, aber im Grunde geneigt war, ihm Recht zu geben. Ja, ich hatte ein schlechtes Gewissen. Wenn ich nur ein bisschen netter zu Geoff gewesen wäre , wenn ich dieses Gefühl, unter Beobachtung zu stehen, nur ernster genommen hätte , wenn ich sie gebeten hätte herauszufinden, wer mich überfallen hat– dann sähe jetzt wahrscheinlich alles ganz anders aus. Völlig unbeabsichtigt war ich im Mittelpunkt sämtlichen Geschehens gelandet. Ich hätte nur zu gern gewusst, warum.

1993
    Seit zehn Monaten vermisst
    Eine Amsel pickt auf der Wiese herum. Es ist ein sonniger Aprilabend, und ich sitze auf der Türschwelle und wackle mit den Zehen in den Schuhen. Die Regeln sind klipp und klar festgelegt: Ich darf hier zwar sitzen, den Vorgarten jedoch nicht verlassen. Wenn mich jemand anspricht, muss ich sofort reingehen und Mum Bescheid sagen. Da ich mich von anderen Leuten fernhalten soll, bin ich sehr scheu geworden.
    Die Amsel sieht schön aus – ein schwarzglänzender Vogel mit bernsteingelben Augen, aus denen er mich ohne zu blinzeln anschaut, während er über die Wiese hüpft, im Gras herumzupft und Moosstückchen zutage fördert. Er baut gerade in der Stechpalme nebenan ein Nest und stopft sich so viel Nistmaterial in den Schnabel, wie er tragen kann, während seine braungefiederte Partnerin den Bau bereits emsig vorantreibt und ihm mit ihrem ununterbrochenen Gesang Mut macht. Ich schirme die Augen mit der Hand ab, damit ich sie im Geäst besser erkennen kann, als plötzlich jemand » Hallo« sagt. Aufgeregt flattert die Amsel davon. Ich springe erschrocken auf und will ins Haus laufen, aber der Mann vor der Einfahrt sieht sehr freundlich aus. Er hat einen Hund an der Leine, einen Roten Setter, der mit wedelndem Schwanz aufgeregt herumtänzelt.
    » Schöner Abend, oder?«
    » Ja«,

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