Die Vernetzung der Welt: Ein Blick in unsere Zukunft (German Edition)
Wenn beispielsweise in einem Bürgerkrieg eine Seite Gebietsverluste hinnehmen muss, könnte sie versuchen, die Propagandaportale der anderen Seite anzugreifen, damit diese ihren Sieg propagandistisch nicht voll ausschlachten kann. Das mag zwar kein gleichwertiger Ersatz sein, aber eine gewisse Wirkung zeigt es allemal. Es wäre die virtuelle Entsprechung zur Bombardierung des Informationsministeriums, das in physischen Konflikten oft das erste Ziel der Gegenseite ist. Ein autoritäres Regime wird die Onlinebanking-Portale ausfindig machen und außer Gefecht setzen, über die die Revolutionäre Geld von Unterstützern im Ausland erhalten. Ebenso werden die Hacker der Gegenseite alles lahmlegen, was sie irgendwie erreichen können, angefangen von YouTube-Kanälen bis hin zu großen Datenbanken. Als die NATO 1999 mit der Bombardierung von Zielen in Serbien begann, griffen proserbische Hacker erfolgreich die öffentlichen Internetseiten des Bündnisses und des Verteidigungsministeriums der Vereinigten Staaten an. (Die Kosovo-Seite der NATO war infolge der Angriffe tagelang außer Gefecht, während der E-Mail-Server der Organisation mit Spam überflutet wurde.) [312]
In den kommenden Jahrzehnten werden die ersten «smarten» Rebellengruppen auf den Plan treten. Natürlich benötigen auch sie Waffen und Menschen, um der Regierung die Stirn zu bieten, doch sie werden sich auch mit Technologie bewaffnen und andere Prioritäten setzen. Noch ehe sie ihre Kampagne öffentlich machen, könnten sie beispielsweise das staatliche Kommunikationsnetz und damit das eigentliche Rückgrat jeder Landesverteidigung lahmlegen. Die Technologie dazu – Würmer, Viren oder gar biometrische Informationen – haben sie möglicherweise von befreundeten Staaten erhalten. Ein digitaler Schlag gegen die Kommunikationsinfrastruktur könnte die Regierung auf dem falschen Fuß erwischen, und solange die Rebellen sich nicht zu dem Anschlag bekennen, blieben die Herkunft und die Motive des Angriffs im Unklaren. Um für vollständige Verwirrung zu sorgen, könnten die Rebellen außerdem falsche Fährten legen, die auf einen ausländischen Feind hinweisen. Während die Regierung ihre Infrastruktur wiederherstellt, haben die Rebellen Zeit, ein zweites Mal zuzuschlagen, in das Internet der Regierung einzudringen und Identitäten zu stehlen (und damit dem Netzwerk vorzugaukeln, die Rebellen seien die rechtmäßigen Nutzer), um die Netzwerkprozesse zusätzlich zu stören. (Wenn sich die Rebellen Zugang zu biometrischen Datenbanken verschaffen, können sie zum Beispiel die Identitäten von Regierungsmitgliedern stehlen, sich im Internet für sie ausgeben und in ihrem Namen falsche Stellungnahmen abgeben.) Schließlich könnten die Rebellen ihre Angriffe auf physische Ziele wie die Stromversorgung des Landes richten. Damit würde ein öffentlicher Aufschrei provoziert, der sich fälschlicherweise gegen die Regierung richtet. Mit nur drei digitalen Angriffen könnte eine smarte Rebellenbewegung die Bevölkerung gegen eine Regierung mobilisieren, die nicht die geringste Ahnung hat, dass eine Rebellion im Gange ist. Dieser Punkt wäre für die Rebellen geeignet, mit einem militärischen Angriff eine zweite, physische Front zu eröffnen.
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Auch zwei weitgehend positive Folgen der Vernetzung werden künftige Konflikte verändern: erstens die Weisheit der Massen im Internet und zweitens die Haltbarkeit der Daten.
Es ist umstritten, ob die virtuellen Massen über Weisheit verfügen. Die einen kritisieren die negativen Extreme der Online-Zusammenarbeit, vor allem die Mittelmäßigkeit des «Schwarmdenkens» und die Aggression der anonymen Rudel in Foren, sozialen Netzwerken und anderen Plattformen. Die anderen feiern die Genauigkeit und Verlässlichkeit von Gemeinschaftsprojekten wie Wikipedia. Welchen Standpunkt man auch vertreten mag, bei künftigen Konflikten kann die Weisheit der Massen zahlreiche positive Beiträge leisten.
Dank des gleichberechtigten Zugangs zur Information nimmt ein größerer Teil der Bevölkerung Einfluss auf die Darstellung eines Konflikts. Durch die weitere Verbreitung von Smartphones erhalten mehr Bürger im In- und Ausland Informationen über die Ereignisse. Unterm Strich werden mehr Menschen auf der Seite der Angegriffenen stehen als auf Seiten der Angreifer. Informierte Bürger setzen sich eher gegen Unrecht und Propaganda zur Wehr: Wenn genug Menschen empört reagieren, verschaffen sie sich Gehör und handeln – selbst wenn
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