Die Vernetzung der Welt: Ein Blick in unsere Zukunft (German Edition)
es, wie in Singapur, nur um Curry geht.
Die Schattenseite dieses massenhaften Zugangs zur Information ist das Massenmobbing, wie es zum Beispiel die chinesischen «Suchmaschinen aus Fleisch und Blut» (
renrou souso yinqing
) praktizieren. In einem Artikel, der im März 2010 im
New York Times Magazine
erschien, beschrieb Tom Downey ein besorgniserregendes Phänomen, das in den vergangenen Jahren den chinesischen Internetraum erfasste: Massen von Internetnutzern machen sich auf die Jagd nach Menschen, die aus dem einen oder anderen Grund ihren Zorn auf sich gezogen haben, spüren sie auf und belästigen sie. [313] (Diese Vorfälle sind übrigens nicht auf China beschränkt, doch nach einigen weithin publizierten Vorfällen sind sie dort am besten dokumentiert.) Im Jahr 2006 machte beispielsweise in verschiedenen chinesischen Internetforen das grausige Video einer jungen Frau die Runde, die mit ihren hohen Absätzen ein Katzenjunges zu Tode trampelte. Nutzer begannen eine landesweite Suche nach der Frau, und schon bald hatten die Online-Spürhunde die Täterin in einer nordchinesischen Kleinstadt ausfindig gemacht. Sie veröffentlichten den Namen, die Telefonnummer und den Arbeitgeber der Täterin, sodass sowohl die Frau als auch ihr Kameramann fliehen mussten. Offenbar sind nicht nur Computer in der Lage, eine Nadel im Heuhaufen zu finden: Aufgrund verschiedener kleiner Indizien in dem Video konnte diese Frau, immerhin eine von mehr als einer Milliarde Chinesen, innerhalb von nur sechs Tagen identifiziert werden.
Ein Internetmob wie dieser kann zwar unvorhersehbares Chaos anrichten, doch das bedeutet noch nicht, dass sich die kollektive Macht nicht auch zum Guten nutzen lässt. Stellen Sie sich vor, es sei den Nutzern in diesem Fall nicht darum gegangen, diese Frau zu mobben, sondern sie vor Gericht zu bringen. In einer Konfliktsituation, in der die Institutionen versagen oder das Vertrauen der Bevölkerung verloren haben, kann das Kollektiv der Nutzer umfassendere und verlässlichere Informationen zusammentragen, gesuchte Kriminelle ausfindig machen und den Bürgern noch unter schwierigsten Umständen die Möglichkeit geben, die Herrschenden zur Verantwortung zu ziehen.
Noch nützlicher als die Weisheit der Massen ist jedoch die Haltbarkeit der Daten. Es ist zwar wichtig, ein globales Publikum in Echtzeit über Verbrechen informieren zu können, doch das eigentlich Entscheidende ist, dass diese Information dauerhaft erhalten bleibt und dass Ermittler oder Richter später auf sie zugreifen können. Regierungen und andere Aggressoren mögen mit ihren Gewehren, Panzern und Flugzeugen einen militärischen Vorteil haben, doch die Spur der Informationen, die sie hinterlassen, erschwert ihr Vorgehen. Ein Regime kann die Kommunikation der Bürger und den Informationsfluss ins Ausland theoretisch zwar behindern, aber nicht völlig unterbinden. So umstritten das digitale Material während des Konflikts sein mag, wird es langfristig Auswirkungen darauf haben, wie eine Auseinandersetzung wahrgenommen und gelöst wird.
Jemanden zur Rechenschaft ziehen zu können ist ein mächtiges Instrument. Um sich ihrer Verantwortung zu entziehen, versuchen Beteiligte seit jeher, Beweise zu beseitigen. Ohne Beweismaterial lassen sich widersprüchliche Darstellungen nie klären, und es gibt keine Gerechtigkeit. Im Januar 2012 entwickelte sich eine diplomatische Krise zwischen Frankreich und der Türkei, nachdem der französische Senat ein Gesetz verabschiedet hatte, das die Massenmorde an Armeniern im Osmanischen Reich im Jahr 1915 als Völkermord deklarierte und dessen Leugnung unter Strafe stellte (einen Monat später wies der Verfassungsrat das Gesetz als verfassungswidrig zurück). [314] Die türkische Regierung, die bis heute behauptet, es seien weit weniger als 1 , 5 Millionen Armenier ermordet worden, bezeichnete das Gesetz als «rassistisch und diskriminierend» [315] und forderte, die Beurteilung der Ereignisse sollte Historikern überlassen werden. Mit den heute vorhandenen technischen Mitteln, Plattformen und Datenbanken wird es Staaten schwerer fallen, Anschuldigungen wie diese einfach zu leugnen, denn wenn die Informationen in Zukunft nicht mehr vernichtet werden können, haben alle Bürger gleichermaßen Zugang zu ihnen.
Mit Hilfe von Instrumenten wie dem biometrischen Datenabgleich, GPS -Tracking und einfach zu nutzenden Portalen werden Täter in einem beispiellosen Maße für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen
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