Die Vernetzung der Welt: Ein Blick in unsere Zukunft (German Edition)
Konfliktgebiet.
Mit Hilfe der modernen Kommunikationstechnologie können sowohl Angreifer als auch Angegriffene die Darstellungen der jeweils anderen Seite überzeugender in Zweifel ziehen als je zuvor. In einigen Fällen könnte das Marketing darüber entscheiden, ob sich eine Regierung an der Macht hält oder ob ausländische Mächte intervenieren. Einwohner einer Stadt, die von Streitkräften der Regierung belagert wird, könnten mit Videos und aktuellen Satellitenbildern die staatlichen Darstellungen widerlegen. Wenn jedoch beide Seiten gleichwertiges digitales Marketing betreiben – wie zum Beispiel während der Unruhen an der Elfenbeinküste, die nach dem strittigen Ausgang der Wahlen des Jahres 2011 das Land erschütterten –, werden sich die tatsächlichen Ereignisse deutlich schwerer rekonstruieren lassen. Hat keine der beiden Seiten ihr Marketing im Griff, weil zu viele Produzenten unabhängig voneinander Inhalte ins Netz stellen, wird die Verwirrung noch größer.
Für Außenstehende werden die ohnehin schon schwierigen Fragen, zum Beispiel die Identifizierung objektiver Informanten oder die Frage, welche Seite wie unterstützt werden sollte, im Zeitalter der Marketingkriege noch schwieriger. (Vor allem dann, wenn nur wenige Beobachter die Landessprache beherrschen oder wenn die Beteiligten nicht über Organisationen wie die NATO oder die Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft langjährige Bündnispartner der Beobachter sind.) Die Informationen, die nötig sind, um sich eine Meinung zu bilden, müssen aus einer Flut von voreingenommenen und widersprüchlichen Inhalten aus dem Konfliktgebiet herausgefiltert werden. Ausländische Staaten können nur dann in einen Konflikt eingreifen, wenn sie die Lage genau verstehen, und selbst dann könnten sie angesichts der möglichen physischen Konsequenzen und der Beobachtung durch die Medien zögern. [28]
Der Marketingkrieg von verfeindeten Gruppen im Ausland wird sich auch auf die amerikanische Innenpolitik auswirken. Wenn beispielsweise die amerikanische Öffentlichkeit von den aufwühlenden Darstellungen der einen Konfliktpartei im Fernsehen emotionalisiert wird und zu dem Schluss kommt, die Regierung sei moralisch zum Eingreifen verpflichtet, während die Informationen der amerikanischen Geheimdienste vermuten lassen, dass diese Bilder nicht die wahre Dynamik des Konflikts wiedergeben, wie soll dann die Regierung handeln? Sie kann ihr geheimes Material nicht veröffentlichen, nur um ihre Position zu rechtfertigen, doch dann hat sie nichts, was sie der öffentlichen Meinung entgegenhalten könnte. Wenn beide Konfliktparteien gleichermaßen überzeugende Darstellungen liefern, sind ausländische Beobachter zur Untätigkeit verdammt, was exakt eine der beiden Parteien bezwecken könnte.
In Gesellschaften, die durch ethnische und separatistische Spannungen gekennzeichnet sind, beginnt der Marketingkrieg schon lange vor Ausbruch eines bewaffneten Konflikts. Wie wir gesehen haben, kann die Vernetzung historische Konflikte noch verschärfen und widersprüchliche Positionen weiter polarisieren. Separatistische Krisen, die sich über Jahre hinweg beruhigt haben, können plötzlich wieder aufflammen, wenn die Bürger Zugang zum anonymen Internet erhalten. In letzter Zeit haben wir immer wieder erlebt, wie religiöse Befindlichkeiten durch widersprüchliche Aussagen oder Bilder im Internet in Rage geraten. Die Kontroverse um die dänischen Mohammedkarikaturen 2005 und die gewalttätigen Demonstrationen gegen den Film
Die Unschuld der Muslime
von 2012 sind nur zwei bekanntere Beispiele. Diese und andere Vorfälle zeigen, dass das Internet den Menschen mehr Möglichkeiten bietet, einander zu beleidigen. Aufgrund der viralen Verbreitung bleibt kein Affront unbemerkt, egal aus welchem Teil der Welt er stammt.
Marketing ist natürlich nicht mit Information zu verwechseln. Das digitale Marketing von Konfliktparteien wird sich anfangs kaum von plumper Propaganda und Desinformation unterscheiden. Doch mit der zunehmenden Verbreitung des virtuellen Marketings wird die Kluft zu echter Information immer kleiner. Trotzdem müssen vor allem Regierungen sehr darauf achten, das eine nicht mit dem anderen zu verwechseln. Sobald die Konfliktparteien wissen, womit sie die erwünschte Reaktion bewirken können, werden sie ihre Inhalte und Botschaften entsprechend zuschneiden.
Die Seite, die Zugang zu staatlichen Ressourcen hat, wird in einem Marketingkrieg schließlich die
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