Die verratene Nacht
Kopf ab, als wolle es zu seiner Persönlichkeit passen, und die aufgekrempelten Ärmel gaben überraschend muskulöse Unterarme frei. „Bist du einer von Selenas Freunden?“
„Ich bin Theo“, antwortete er und stellte da überrascht fest, dass dieser Mann wahrscheinlich mindestens zehn oder sogar zwanzig Jahre älter war als er oder Lou. Er könnte neunzig sein, oder ging vielleicht auf die neunzig zu. Es gab nicht viele Menschen, die das von sich behaupten konnten.
Der Mann hatte ihm schon wieder den Rücken zugedreht und sich der Vorratskammer zugewandt, und murmelte jetzt in einem barschen, meckernden Ton, „niemand hier erzählt mir irgendwas. Verdammt gut, dass mir so was Schnurz ist.“
Etwas fiel aus der Kammer und fiel auf den Boden, was bei dem Mann einen weiteren Schwall von Flüchen provozierte. Bevor Theo seine Hilfe anbieten konnte, stapfte Vonnie ins Zimmer.
„Was suchst du denn da, Frank?“, fragte sie und baute sich mit den Händen an den Hüften auf, wie Frauen es schon seit Anbeginn der Zeit tun, um ihren Missmut auszudrücken.
„Hä?“
„Was suchst du denn?“, wiederholte Vonnie mit einer etwas lauteren Stimme.
„Eine gottverdammte Kneifzange“, erwiderte er. „Es gibt keinen Grund zu schreien, verdammt. Muss den verdammten Zaun reparieren, da hinten, um die–“
„Die ist doch hier“, sagte Vonnie, die ihn unterbrach und dabei eine Schublade aufriss.
Der vielsagende Blick, den sie Frank zuwarf, entging Theo nicht: dieses schmallippige Starren, das ihm sagen sollte, hier den Mund zu halten.
Er bemerkte es entweder nicht oder es war ihm egal, denn er fuhr mit seiner Tirade fort. „Gottverdammte Zombies – trampeln immer durch mein–“
Die Kneifzange fiel scheppernd auf die Arbeitsplatte. „Frank“, sagte Vonnie laut. „Hast du gefrühstückt?“
„Hab nich’ gefrühstückt, nur meinen verdammten Kaffee, wie immer“, knurrte er, während er sich rasch das Werkzeug griff. „Hier war niemand zum Kochen da, als ich aufgestanden bin. Jeder hier verpennt den ganzen Vormittag. Der verdammte Tag ist schon halb rum.“
Theo hatte sich zwischenzeitlich schon vorsichtig in die Küche reingeschoben, sowohl fasziniert von dem Energiebündel in langweiligem Olivgrün als auch neugierig, was Vonnie vor ihm zu verbergen versuchte. Sie schaute ihn misstrauisch an, aber bevor sie etwas sagen konnte, fragte Theo, „wie geht es Selena?“
„Was zum Teufel fehlt Selena denn?“, fragte Frank laut und hörte da zum ersten Mal auf weiterzureden. War der Typ taub oder was? Theo konnte das nicht klar entscheiden.
„Es geht ihr gut“, antwortete Vonnie, die aussah, als würde sie gerade auf einem Hochseil balancieren.
„Ich weiß zum Teufel nochmal nicht, warum sie sich mit diesen gottverdammten Zombies herumschlagen muss“, sagte der alte Mann. Aber anstatt wie eine Beschwerde zu klingen, hörte es sich eher wie liebevolle Besorgnis an. „Sollte die Finger von lassen.“
Theo versuchte nicht allzu interessiert auszusehen, denn er war sich sicher, wenn er das tat, dann würde Vonnie sofort den Deckel auf jegliche weitere Info von Frank draufhauen. Und ihm ging da auf einmal auf, dass er mehr als nur ein bisschen interessiert war zu erfahren, was zum Teufel hier genau vor sich ging.
Er schaute zu, als sich Frank schwungvoll eine alte Baseballmütze aufsetzte und sich ein Gewehr schnappte, das dort in der Ecke an der Wand gelehnt hatte. Mit der Kneifzange in der Hand stapfte er mit einem ganz leichten Hinken zur Küche raus, aber in einem Tempo, bei dem die meisten Leute, die nur halb so alt waren wie er, wohl keuchend im Straßengraben geendet wären. Theo musste den Drang, ihm zu folgen, unterdrücken.
„Du hast sie also wieder zusammengeflickt?“, fragte Theo, während er auf einen Hocker an der Küchentheke glitt und während Vonnie sich an der Spüle zu schaffen machte.
Einen Augenblick lang überfiel ihn da die Vergangenheit und er spürte eine lang unterdrückte Nostalgie. Es schleuderte ihn geradezu in die sonnige Zitronen-Limetten-Küche seiner Mom.
Er und Lou saßen an der Theke und Mom machte ihnen vor der Schule Haferbrei oder was auch immer zum Frühstück. Dad käme dann hereingeschossen, um sich eine Tasse Kaffee zu krallen, schon auf dem Weg zur Tür raus zum Krankenhaus, wo er das Labor leitete. Er würde sie beide liebevoll am Kopf knuffen, wenn er vorüberging. Ihre ältere Schwester war schon bei der Arbeit, also mussten sie sich nicht mit ihr um das
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