Die verratene Nacht
anderen. Eine Geste der Ablehnung. Aber das hielt Theo nicht davon ab zu fragen, „mit was denn?“
Was zum Teufel war so wichtig, dass sie nachts diese sicheren Mauern hinter sich ließ? Allein? Selbst Theo, der sich im Laufe der Jahre schon so einiges Riskantes und Verrücktes geleistet hatte, ging selten so ein Risiko ein.
„Diesmal werde ich Cath kommen lassen müssen“, sagte Vonnie, ihre Stimme klang zittrig, als sie auf die Wunden starrte, und keine Anstalten machte, diese zu berühren. Ein Tuch, an dem dampfendes Wasser runtertropfte, hing in ihrer schlaffen Hand.
„ Nein. “
„Wer ist Cath?“, fragte Theo, während er Vonnie aus dem Weg manövrierte, damit er sich die Wunde anschauen konnte. Er hatte mehr als nur ein paar Ganga-Verletzungen in den letzten fünfzig Jahren gesehen und behandelt – und die Leute zählten zu den glücklichen.
Die Wunden waren tief, aber nicht lebensbedrohlich, soweit er das erkennen konnte. Außer sie entzündeten sich, was durchaus möglich war, wenn man bedachte, wo jene dreckigen Fleischerhände gewesen waren. Das hier musste wahrscheinlich genäht werden. „Was hast du da, das man hier drauf tun kann?“, fragte er und nahm das warme Tuch aus Vonnies Hand. „Irgendwelchen Alkohol?“
„Cath kommt dem, was ein Doktor ist, am nächsten. Und ist alles, was wir haben“, erklärte Vonnie ihm, die gerade wieder aufwachte, als Theo begann sanft an den Schnitten zu tupfen. „Hier. Wir haben diese Salbe, um da drauf zu tun. Ich hole Verbandszeug.“ Sie setzte einen Glasbehälter ohne Deckel auf die Arbeitsoberfläche neben ihnen und eilte geschäftig davon.
„Jep“, sagte Selena, die Stimme angespannt, ihr Gesicht nach hinten mit dem Blick zur Decke gekippt, nach ihrem heftigen Widerspruch eine Sekunde früher. Aber bis auf das, schien sie unbeeindruckt, als Theo einen rosa BH-Träger aus dem Weg schob. „Cath darf die retten, die gerettet werden können. Ich darf den übrigen beim Sterben zusehen.“
Der BH-Träger hing jetzt nutzlos an einem sehr durchtrainierten Arm herab, wo sich glatte, weibliche Muskeln wölbten. Theo fiel das auf ... und dann wanderte er weiter zu der Tatsache, dass eine der mit Spitzen besetzten rosa BH-Schalen nun abstand. Von einer netten Handvoll Brust. „Ganga-Nägel werden wahrscheinlich zu einer Infektion führen“, sagte er und wünschte sich nun, dass Elliott hier wäre. „Das muss genäht werden. Hast du irgendwas, womit man das reinigen kann, Vonnie?“
Seine Stimme war ruhig, wenn auch nahe am Befehlston, aber das, was ihm eine Scheißangst einjagte, war, dass sie einem Ganga so nahe gekommen war. Nahe genug, dass der sie auch ebenso gut in Stücke hätte reißen und verspeisen können. „Was zum Teufel hast du da draußen gemacht?“
Selena presste die Lippen zusammen, aber wenn es ihre Absicht gewesen war, ihn böse anzustarren, dann gelang ihr das nicht. Ihr Gesicht, verdreckt und blutverschmiert, schien einen fahlen, grauen Ton anzunehmen, obwohl es bei dem schlechten Licht hier schwer war das eindeutig festzustellen. Sie hatte lange, dichte Wimpern, die sich fächerförmig über ihren Wangen ausbreiteten, und ihr dichtes, glattes Haar klebte ihr an den Schläfen und am Kinn. Als er es zur Seite wischte und dabei schmale Schultern und einen eleganten Hals freilegte, fiel ihm eine lange, dünne Kordel um ihren Hals auf, die in einem tiefen V unter ihrem Arm verschwand, als ob ein Gewicht daran es schwer zur Seite fallen lassen würde.
Sie musste bemerkt haben, dass es ihm aufgefallen war – vielleicht zogen seine Finger an der Kordel und die spannte sich an ihrer Haut. Sie richtete sich plötzlich auf, bedeckte ihre halb entblößten Brüste urplötzlich mit den Händen und glitt mit ihren Fingern an der Kordel entlang runter. „Du solltest im Bett sein“, sagte Selena zu ihm.
Eine Wildheit brannte in ihren Augen, als sie ihn niederstarrte. Wildheit und Entschlossenheit.
„Ich bin deutlich fitter als du“, sagte er. So gerne er es auch täte, er ließ seinen Blick nicht da runterwandern, entlang dieser Kordel, um zu sehen, was sie dort verbarg. Das wäre zu viel der Genugtuung für sie.
„ Ich war vor drei Tagen nicht tot.“
„Nein, aber heute Nacht hättest du es sein können. Wie zum Teufel bist du ihnen denn entkommen?“ Er schaute sie an. Das Friedvolle und die Heiterkeit, die er zuvor an ihr so bewundert hatte, waren jetzt verschwunden. Sie war verdreckt und ganz offensichtlich erschöpft, hatte
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