Die verratene Nacht
wie die Wunden nun aussahen. Aber Theo vertraute darauf, dass Vonnie einen guten Job gemacht hatte, wenn es darum ging, sich um eine Frau zu kümmern, die sie offensichtlich sehr gern hatte.
„Du ebenfalls“, erwiderte er und riss seine Augen von den etwa apfelgroßen Brüsten los, die in dem V-Ausschnitt ihrer schlichten Tunika angedeutet waren. Sein Blick flüchtete sich nach unten und über die schmalen Kurven von Oberschenkeln in einer Jeans, die schon bessere Tage gesehen hatte – Teufel, die musste fünfzig Jahre alt sein, weil niemand stellte mehr Levi’s her – und weiter runter zu der Überraschung von nackten Füßen.
Sie hatte schmale, goldene Füße, die zum Rest ihrer Haut – von einer Farbe wie Honig – passten, mit schlanken Zehen und elegantem Spann und roten Zehennägeln.
Rote Zehennägel?
Theo schaute noch einmal hin. Er hatte seit fünfzig Jahren keine Frau mehr mit angemalten Zehennägeln gesehen. Er riss sich von diesem Anachronismus los und entdeckte, dass Selena ihn beobachtete. Aber sie ließ keine Bemerkung fallen, über die Tatsache, dass er auf ihre Zehen gestarrt hatte. Vielleicht dachte sie, er hätte den Boden angeschaut.
„Dachte, ich hätte eine Spinne gesehen“, sagte Theo und fragte sich dann, warum er sich die Mühe machte. „Da auf dem Boden.“ Sein Mund schien ganz von selbst zu arbeiten.
Selena quietschte leicht auf und erstarrte, danach führte sie einen kleinen Tanz auf und sagte, „hast du? Töte sie nicht!“
Während er ein Lächeln unterdrückte, erwiderte Theo, „nein, ich habe mich geirrt.“
„Gut“, sagte sie nur knapp, wieder komplett beherrscht. Er musste sogar noch schwerer darum kämpfen, das Lächeln zu unterdrücken, angesichts ihrer wirklich blitzgeschwinden Stimmungsumschwünge. „Ich mag Spinnen nicht, aber es gibt keinen Grund, sie zu töten. Tu sie einfach nach draußen.“
Vonnie meldete sich zu Wort, „das ist doch nicht alles, was du jetzt isst.“
„Das ist alles, was ich möchte“, sagte Selena und wedelte mit der geschälten Orange, der jetzt schon drei Schnitze fehlten. „Muss nach ein paar Dingen sehen gehen.“
Und bevor einer von ihnen noch etwas sagen konnte, flitzte sie schon aus der Küche, in die gleiche Richtung, aus der Theo gekommen war.
„Das Mädchen“, sagte Vonnie, während sie den Kopf schüttelte. „Isst nicht mal so viel wie ein Vögelchen.“
„Sie sieht nicht aus, als würde sie gleich zusammenklappen“, merkte Theo an und wünschte sich wieder einmal, dass er sehen könnte, wie ihr Hintern diese Jeans da ausfüllte. Aber die Tunika war zu lang und sie war schon davongewitscht, bevor er die Gelegenheit bekam, es zu versuchen.
Und es fiel ihm da auf, wie überrascht er war, dass er es überhaupt versuchen wollte .
Es war schon eine ganze Weile her, dass er an den Kurven egal welcher Frau Interesse gezeigt hatte, bis auf einen schüchternen, kurvenreichen Rotschopf mit Sommersprossen auf ihren Lippen. Theos Magen zog sich zusammen, als er diesen Gedanken wegschob.
Es war aus. Und vorbei. Sie hatte ihn nicht haben wollen.
„Nein. Selena klappt nicht gleich zusammen“, sagte die ältere Frau. „Aber sie ist sehr schleckig. Isst nie viel von irgendwas. Kein Fleisch, kaum Käse oder Milch. Nur Gemüse und Obst. Nüsse und Körner. Wie ein kleiner Vogel. War schon immer so.“
Das war vermutlich der Grund für ihren straffen, schlanken Körper. Theo zuckte im Geiste mit den Schultern und fragte sich, wie sie darauf verfallen waren, Selenas Essgewohnheiten zu diskutieren. „Was ist mit Sams Vater?“
Vonnie warf ihm einen scharfen Blick zu, mit dem sie seine Neugier konstatierte. „Der ist da, wo der Pfeffer wächst. Und kann ruhig da bleiben, wenn es nach mir ginge.“
Nun, das war doch schon mal was. So nahm er an. „Wie lang kennst du Selena denn schon?“
„Seit sie ein winziges kleines Baby war“, entgegnete Vonnie. „Ich habe sie gefunden. Als gerade alles...?“
Zum ersten Mal, seit er den Raum betreten hatte, hielt sie doch tatsächlich inne und baute sich dort vor ihm an der Theke auf. „Mitten drin, in dem Wechsel. Sie kann nur ein paar Tage alt gewesen sein. Es war ein Wunder, dass sie überlebt hat. Ein winziges, kleines Würmchen mit einem Schopf schwarzer Haare, kaum größer als ein Kätzchen. Sie war mutterseelenalleine.“
Eine Flut von Gedanken stürmte auf ihn ein. Wie eine Welle aus Video-Sprengköpfen, aber einer davon schoss ganz nach vorne in seinem Kopf und
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