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Die verschollene Karawane

Titel: Die verschollene Karawane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Ackermann
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Finsternis! Schau dir mal an, was hinter unserem Wagen passiert! Der Sturm kommt von Westen. Er hat in nur einer Stunde bereits eine Düne bis in Höhe des Heckfensters aufgetürmt. Jahzara, ich will dir nichts vormachen, wenn das so weitergeht, ist das Auto im Nu unter Sand begraben. Wir sitzen fest. Die Wüste gibt sich offensichtlich nicht mit einem toten Araber zufrieden. Sie will mehr! Es gibt keinen Ausweg mehr. Wir sind in der Hand Gottes!«
    »Nein«, hauchte Jahzara. »Wir sind in der Hand von Gog und Magog! Sie hassen uns!«
    Noch nie hatte Jahzara aus Peters Mund Gottes Namen gehört. Sie wusste, dass er der Kirche extrem kritisch gegenüberstand, aber nicht, ob er wirklich an Gott glaubte. In diesem Moment schien Peter, der sonst immer stark, zuversichtlich und einfallsreich war, so hilflos zu sein, dass auch er in Gott seine einzige Hoffnung sah. Umgeben von menschenfeindlicher Natur, wurde Jahzara plötzlich bewusst, wie oft sie in den letzten Monaten das Schicksal schon herausgefordert hatte. Seit Venedig bewegte sie sich nur noch in Grenzbereichen. Psychisch wie auch körperlich. Die Dinge hatten so aberwitzig schnell eine gefährliche Eigendynamik entwickelt, dass sie nicht mehr über Risiken nachgedacht hatte. Peter spielte dabei keine unbedeutende Rolle. Er hatte sie mit seinem Enthusiasmus mitgerissen. Immer strahlte er grenzenloses Selbstvertrauen aus. Er konnte und wusste so viel, hatte schon so viel Gefährliches erlebt. Seine Abenteuer hatte er sicherlich nur deswegen alle heil überstanden, weil er stets seinen Verstand benutzte, Risiken analysierte, seine Chancen realistisch einzuschätzen wusste und all sein Tun in Relation zu den Gefahren sah. Deswegen hatte sie maßloses Vertrauen zu ihm gehabt, hatte einfach so mitgemacht. Ohne Peter wäre sie nicht hier, im Land der Leere, dem Meer der Finsternis – hautnah an den Gebeinen der Prinzessin Sahel. Ja, sie hatten es geschafft. Aber zu welchem Preis? Sie hatte Angst. Sie saßen in einer tödlichen Falle. Gott, sonst niemand, konnte sie retten. Doch war Gott überhaupt hier? Gog und Magog, ja, die waren hier. Die grausamen Handlanger der Verderbnis tobten, türmten gewaltige Sandberge auf, auf dass sie die Ungläubigen lebendig begruben. Waren sie so wütend, weil Christen einen der Ihren dem Tode geweiht hatten? Oder waren sie so erzürnt, weil zwei erbärmliche menschliche Gestalten ihnen trotzten, sich ihrer Pläne widersetzten? Jahzara fragte sich, ob sie etwas ganz anderes wollten. Vielleicht wussten Gog und Magog, was da außer dem Schatz noch in der Wüste begraben lag und nun drohte, durch die Hand von Christen wieder ans Licht der Welt zu gelangen: die Bundeslade! Und möglicherweise hatte Gott andere Pläne, wollte den Gesellen des Bösen einen Strich durch ihre teuflische Rechnung machen. Vielleicht wollte Er nicht, dass Seine in steinernen Tafeln verewigten Gebote von menschlichem Auge begafft und entweiht wurden. War all das hier Sein Plan? Hatte Gottes Fluch damals die Karawane in Flammen aufgehen lassen, so, wie er einst Sodom und Gomorra in Schutt und Asche gelegt hatte, um das sündige Tun der Menschen zu beenden? Wie stand es doch geschrieben im Ersten Buch Moses’: »Da ließ der HERR Schwefel und Feuer regnen vom Himmel herab auf Sodom und Gomorra und vernichtete die Städte und die ganze Gegend und alle Einwohner der Städte und was auf dem Lande gewachsen war. Und Lots Weib sah hinter sich und ward zur Salzsäule.« Ja, vielleicht war Er zornig gewesen über das Tun des Heiligen Vaters in Rom, der seine christlichen Brüder dem Untergang hatte weihen wollen. Waren es Feuer und Schwefel aus dem Himmel gewesen, die die Karawane ins Verderben gestürzt, in Flammen hatte aufgehen lassen? Lot hatte einst mit seinen Töchtern fliehen dürfen. Ob Er Peter und sie auserkoren hatte, der Apokalypse im Land der Leere zu entkommen? Vielleicht! Aber es würde auf jeden Fall klüger sein, diese Kiste nicht zu öffnen. Im Alten Testament, in Samuel 6 und 7, stand zu lesen, was geschehen konnte: »Da entbrannte des Herrn Zorn über Usa, und Gott schlug ihn dort, weil er seine Hand nach der Lade ausgestreckt hatte, so dass er dort starb.«
    Jahzara spürte, wie sie allmählich in einem Meer dumpfer, todessehnsüchtiger Gedanken versank. Um sie herum türmten sich die Sandberge zu einem Sarg in Form einer Düne auf. Träge sah sie den rieselnden Sandkörnern zu und ahnte, dass ihr Ende bevorstand. Sie unterwarf ihr Sein den Gewalten der

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