Die verschollene Karawane
tätest besser daran, der Allmacht mystischer Kräfte mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Glaub mir, Peter, unser Tun ist vorbestimmt. Entweder von göttlichen Kräften oder vom Bösen.«
Sie gruben wie besessen weiter. Mit bloßen Händen schaufelten sie den Sand zur Seite, lachten, jauchzten und sahen es als angenehmen Nebeneffekt, dass beide Vorderräder des Geländewagens längst wieder Bodenhaftung hatten.
Plötzlich erstarrte Peter. Er hielt den Atem an und pustete mit zugespitzten Lippen über das, was er mit seinen Fingern ertastet hatte.
Der Schädel eines Menschen tauchte aus dem Sand auf. Jahzara bekreuzigte sich und erschauerte. Respektvoll legte Peter den Schädel frei. Verbrannte Stoffreste lagen neben dem Schädel. Die Halswirbel wurden sichtbar. Der Tote hatte eine Halskette getragen. Sie lag neben den Nackenwirbeln und glänzte gelb-rot im diffusen Sonnenlicht.
»Gold…« Jahzara hauchte es vor sich hin, traute sich aber nicht, den Toten anzufassen.
Peter zog den wundervoll gearbeiteten Halsschmuck aus dem Sand. Edelsteine schmückten die Kette.
Je tiefer sie gruben, desto mehr angebrannte Stoffreste tauchten auf.
»Hier muss sich eine Tragödie abgespielt haben«, flüsterte Peter. »Die Karawane wurde von einem Feuer überrascht. Alles ist verbrannt. Oder es wurde verbrannt – absichtlich!«
Bis zum Nachmittag hatten sie den Schädel eines Kamels, drei menschliche Skelette, verkohlte Kleidung, Teile einer portugiesischen Rüstung, zwei alte äthiopische Baumwollumhänge und ein wundervolles silbernes Schwert ausgegraben. Sie schwiegen, waren überwältigt, trieben dahin in ihren eigenen Gedanken.
In Höhe des rechten Hinterrades stieß Jahzara plötzlich auf einen großen Gegenstand. Es sah wie der abgerundete Deckel einer Truhe aus. Teile waren verkohlt. Davor hatte sie sich seit Beginn ihrer Reise gefürchtet. Nun schien sie es tatsächlich gefunden zu haben. Buchstaben waren in das Holz geritzt. Eine Schrift, die sie aus dem Kebra Nagast, dem Buch der Ruhm der Könige, kannte. Es war Ge’ez, dieselben Buchstaben wie auf der alten Landkarte: Mussie – das alte äthiopische Wort für Moses! Sie erschauerte. War diese Holzkiste die Bundeslade?
»Prinzessin! Wir sind reich! Wir sind grenzenlos reich.« Peters schrille Worte schreckten sie hoch. Mit weit aufgerissenen Augen stand er wenige Schritte vor ihr und hielt zwei Ledersäckchen in den Händen. Er war blass, schien völlig verwirrt zu sein, kniete sich vor ihr nieder, ohne auf die Truhe zu ihren Füßen zu achten. Dann schüttete er die beiden Lederbeutel aus. Grüne, gelbe, türkisfarbene, weiße und blutrote Steine kullerten über den Wüstensand und entfachten in der Sonne ihr inneres Feuer.
»Diamanten, Smaragde, Rubine – « Mehr brachte Peter nicht hervor. Erst jetzt bemerkte er, dass Jahzara völlig aufgelöst war. »Was hast du, Prinzessin? Das hier ist ein Schatz. Diese Edelsteine sind ein Vermögen wert. Schau mal, wie groß die sind. Jeder davon hat mindestens 50 Karat! Unter uns im Sand liegt ein Vermögen.« Peter registrierte den verwirrten Gesichtsausdruck von Jahzara. Er stockte. »Was hast du gefunden? Noch eine Schatzkiste?«
Jahzara hatte das Wort schon auf den Lippen, entschied sich dann aber, es nicht auszusprechen. Sie konnte es nicht.
»Ist wohl eine Kiste, in der Kleider transportiert wurden«, log sie und schüttete wieder Sand auf das Holz. Auf einmal sah sie, wie das Funkeln der Edelsteine vor ihnen im Sand matter wurde. Sie schaute Peter an. Sein Gesicht zeigte keinerlei Schatten mehr. Die Sonne war weg. Ihr Blick ging zum Himmel. Während sie den Sand der Sahara durchwühlt hatten, waren seltsame Nebelschleier aufgezogen. Eigentümliche Rottöne beherrschten die Wüste. Die Salzkristalle des Sees schimmerten rot. Die Welt schien zu glühen. Es war wunderschön anzusehen. Doch es war der Tod, der langsam begann, das Verderben in das Land der Leere zu hauchen, wo vor vielen hundert Jahren bereits die Karawane durch Flammen vernichtet worden war.
Eine Stunde später hatte sich der Sturm zu einem Inferno verwandelt. Peter und Jahzara saßen in dem Geländewagen. Um sie herum schien es Nacht zu sein. Sandmassen türmten sich hinter dem Wagen auf. Es war Sand, so fein wie Staub, getränkt in Purpurrot.
Peter hatte Angst. Er musste brüllen, damit Jahzara ihn in dem tosenden Sturm hören konnte: »Das ist es, was die portugiesischen Seefahrer einst fürchteten. Der Harmattan – das Meer der
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