Die Verschwörung des Bösen
sie gemeinsam Wasser und Milch an den Fuß des Baums gossen, wollte ihr der Kahle erzählen, was er soeben erfahren hatte.
»Ein königlicher Bote hat mir die Abschrift eines Erlasses gebracht, den der Pharao verfasst hat. Darin heißt es, dass sich alle Provinzfürsten unter der Krone versammelt haben; Ägypten ist wieder vereint, die Zwei Länder sind wieder eng verbunden.«
Ein sanfter Wind kam auf und ließ die Zweige der Akazie leise rauschen. Und unter den staunenden Blicken des Kahlen und der Priesterin ergrünte ein weiterer Ast, den man bereits für tot gehalten hatte.
»Der Pharao hat den richtigen Weg eingeschlagen«, sagte der Kahle. »Ich werde ihm unverzüglich hiervon berichten. Wer weiß, vielleicht erwacht der ganze Baum zu neuem Leben?«
In den folgenden Tagen gab es leider keine Anzeichen einer weiteren Genesung. Der Fluch war nur gebändigt, nicht aber gebrochen.
»Begleite mich zum Haus des Lebens«, befahl der Kahle der jungen Priesterin. »Sollte es dir gelingen, die Schwelle zu diesem Haus zu übertreten, musst du dort in den alten Schriften nach Hinweisen forschen, auf welche Weise die Akazie geheilt werden kann.«
Zu jedem großen ägyptischen Tempel gehörte ein Haus des Lebens, in dem die »Seelen des göttlichen Lichtes«, oder anders ausgedrückt, die heiligen Archive aufbewahrt wurden. Gemessen an der Güte und Anzahl der vorhandenen Schriften war das Haus des Lebens in Abydos besonders reich ausgestattet.
Nur der Pharao konnte einem den Zutritt zu diesem Haus gewähren. Daraus schloss die junge Frau, dass der Kahle in dessen Auftrag und mit seiner Zustimmung handelte. Hohe Mauern schützten den unermesslich wertvollen Schatz.
»Ich habe einen Kuchen für dich, auf den ich die Worte
›Feinde‹, ›Aufständische‹ und ›Umstürzler‹ geschrieben habe, alles Leute von isefet, der schlechten und zerstörerischen Kraft, die sich Maat entgegenstellt. Sieh zu, dass er dir nützt.«
Kaum hatte die Priesterin das Haus getreten, erschien eine prachtvolle Pantherin, die Herrin vom Schloss des Lebens, deren Rücken von viererlei Stoff geschmückt war. Aus ihren schwarzen Augen sah sie die junge Frau lange unverwandt an. Dann kam sie mit wiegenden Schritten auf sie zu.
Die Priesterin rührte sich nicht von der Stelle. Nachdem das Raubtier sie beschnuppert hatte, stellte es seine linke Vorderpfote auf den Schenkel seines Opfers. Obwohl die Krallen ausgefahren waren, blieb die Haut der Priesterin unversehrt.
Nun machte sie den Kuchen der Verkörperung der Göttin Mafdet, der Hüterin der heiligen Archive, zum Geschenk. Die Pantherin verschlang isefets Verbündete, rollte sich in der Nähe der Tür zusammen und schlief ein.
Der Weg war frei.
Ehrfürchtig betrat die Priesterin das Reich, das sich ihr hier offenbarte: In den Regalen einer gewaltigen Bibliothek lagen Papyrusrollen und Schrifttafeln, die, wie es schien, alle Bereiche der alten Wissenschaften behandelten: Das große Buch über die Geheimnisse des Himmels, der Erde und der Gestirne, das Buch, in dem stand, wie man die Sprache der Vögel, der Fische und der Vierbeiner verstehen kann, das Traumdeutungsbuch, das Buch über die geheimen Gestalten der Gottheiten, das Buch, in dem man lernen konnte, wie man Sechmet, die schreckliche Löwin, besänftigen kann, das Buch über die Umwandlungen in Licht, das Buch vom Nil, die Prophezeiungen und die Großen Weisheiten, Abhandlungen über Alchemie, Magie, Heilkunde, Astrologie, Astronomie, Mathematik und Geometrie, Verzeichnisse der Hieroglyphen, der Kalender für geheime und öffentliche Feste, die Handbücher der Ritualisten, das Buch über den Schutz der Götter-Barke, Bücher über Architektur, Bildhauerei und Malerei, Verzeichnisse der Ritualgegenstände, Listen der Pharaonen und ihrer Lebensund Regierungsdaten… Schon beim Lesen der ganzen Titel konnte einem schwindlig werden!
Aber die Priesterin war mit einem wichtigen Auftrag hergekommen und durfte sich an diesem Überfluss nicht berauschen. Dank ihrer Kenntnisse und Eingebung fand sie bald die Schriften, die sich besonders eingehend mit der schöpferischen Energie, dem ka, und den Möglichkeiten, sie zu behüten, befassten.
Der Kahle persönlich brachte der jungen Frau, die in einem kleinen Raum neben der Bibliothek schlafen durfte, ihre Mahlzeiten. Sie ruhte sich so wenig wie möglich aus, arbeitete Tag und Nacht, verfolgte jeden noch so kleinen Hinweis und ging jeder Spur nach, ohne sich auch nur einmal entmutigen zu
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