Die Verschwoerung von Toledo
denn, ihr seid davon ausgegangen, dass sie sich vor eurem Gott schuldig gemacht hatten.«
Henri musste dem jungen Sarazenen Recht geben. »Ich habe selbst gefangene Brüder in den Folterkellern gesehen. Auch ich fühlte den Schmerz über die Abwesenheit des Herrn. Es war ein bitterer Anblick, der verzweifelt macht. Ich wollte ihnen helfen. Aber ich konnte es nicht.«
»Starben sie?«
Henri erwiderte mühsam: »Sie starben alle. Die einfachen Brüder und auch die Großmeister.«
Uthman sagte: »Etwas Ähnliches darf nie mehr passieren! Wir müssen dafür kämpfen, dass Recht und Gesetz einkehren. Auch einen neuen Kreuzzug darf es niemals mehr geben, in dem sich Christen und Sarazenen bekriegen und Juden getötet werden.«
Joshua fügte einfach hinzu: »Wir müssen lernen, miteinander auszukommen.«
Henri wies mit ausgestreckter Hand voraus. »Uzès. Gebe Gott, dass wir niemals wieder zu Papstmördern und Königsmördern werden müssen. Das Maß der Zeit ist bis an den Rand mit Blut gefüllt.«
Gottfried von Wettin wartete schon an der Kapelle auf sie, die zu Füßen der mächtigen Burg stand. Henri war hocherfreut darüber, dass der Wettiner bei der Begrüßung eröffnete, mit ihnen reiten zu wollen.
»Wir müssen immer mehr werden«, begründete der Dominikaner seinen Entschluss. »Unsere Epoche ist reif für eine breite Bewegung gegen die Willkür von Tyrannen.«
Mit diesem Motto ihrer noch geheimen Vereinigung, deren Gründung sie bis zu einem besseren Tag verschieben mussten, waren alle einverstanden.
Dann verabschiedeten sich die jungen Sarazenen. Henri hatte ihnen ihren Ungehorsam verziehen. Denn er hatte einsehen müssen, dass sie nicht Unrecht gehabt hatten. Überhaupt hatten seine Gefährten die besseren Argumente vertreten. Er, Henri, hätte Ferrand de Tours, dessen weiteres Schicksal ihm unbekannt und jetzt auch gleichgültig war, nicht persönlich in die Stadt seiner Feinde bringen dürfen.
Aber jetzt war dieses Kapitel beendet. Sie waren unbelastet davon und frei, zu tun, was sie tun wollten. Von jetzt an sollte es in ihrer gemeinsamen Entscheidung liegen, wie lange jene Kräfte noch überleben durften, die durch Lügen und Intrigen in ihren Heimatländern gegen das Zusammenleben der Völker hetzten. Sie wollten vor allem den Kampf gegen alle jene aufnehmen, die den Judenhass predigten.
Sie standen zusammen und blickten den beiden jungen Sarazenen nach, die nach Süden davonritten. Dann wendeten sie sich einander zu und sahen sich fest in die Augen.
Sie wussten, die Zukunft würde nicht leicht werden. Sie waren ein versprengter Haufen in Feindesland. Aber solange sie zusammenblieben, waren sie auch kampferprobt genug, um den Gefahren zu trotzen.
Und mit dem, was sie gemeinsam erlebt und getan hatten, war für sie in dieser Zeit überall, wohin sie auch kommen mochten, Feindesland. Das würden sie niemals vergessen.
Historische Nachbemerkung:
Juden, Christen und Muslime – kein einfaches Verhältnis
Der Golem und die geheimnisvollen magischen Kräfte der Kabbala – das sind Sagenmotive, mit denen dieser Roman spielt. Sagen und Gerüchte hatten im Mittelalter eine große Bedeutung und wurden gerne zur nationalen und auch rassistischen Propaganda ausgeschlachtet. Eine weit verbreitete und von Christen gern geglaubte üble Mär war jene, die Juden vergifteten die Brunnen, entführten christliche Kinder und schlachteten sie in einer Imitation des Abendmahles. Dieses Gerücht – das hier in der Geschichte Ferrand de Tours verbreitet – führte tatsächlich in vielen europäischen Städten zu Pogromen. Denn das Verhältnis zwischen Christen und Juden, aber auch zwischen Muslimen, Christen und Juden, war selten einfach und häufig gespannt.
Das Leben der Juden in den europäischen Staaten des Mittelalters, also vor allem im Heiligen Römischen Reich, in Frankreich, England und Spanien sowie in den zahlreichen weiteren kleineren Herrschaften, war bestimmt durch ihre Ausgrenzung aus der christlich geprägten Gesellschaft. Sie galten als Angehörige nicht nur einer fremden Religion, sondern auch immer als fremdes Volk. Dabei hatten viele Juden schon früh in der Geschichte das Heilige Land verlassen, um anderswo ansässig zu werden.
Von der Babylonischen Gefangenschaft
zum Römischen Reich
Im Jahr 721 v. Chr. war der jüdische Nordstaat Israel von den Assyrern erobert worden, die große Teile der Bevölkerung im Zuge ihrer Umsiedlungspolitik in
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