Die Verschwoerung von Toledo
führen ein unverdient glückliches Leben. Das gefällt mir nicht, denn ich sehe, wie Christen im Heiligen Land leiden müssen.«
»Die Kreuzzüge sind längst vorbei, Ferrand. Heute heißt es, den Mut aufzubringen, für den Frieden zu leben.«
»Ja, schon. Aber die Juden verschlingen die Arbeit und den Fleiß der Christenmenschen. Sie bekennen sich nicht zum Land und leben ungebunden, sie erfüllen die Königreiche mit Geschachere und sind doch gern gesehen, sie umnachten die Menschen mit ihrem Gerede und finden doch Verteidiger ihrer Lebensweise.«
»In Frankreich hat man sie beraubt und ausgewiesen. Ich habe das Elend gesehen, das man ihnen anrichtete.«
»Hast du dich wirklich um die Geschicke von Juden gekümmert? In dieser schweren Zeit?«
Henri nickte. »Ich war, um ein Beispiel zu geben, an der Seite meines jüdischen Freundes Joshua ben Shimon Zeuge eines Pogroms. In seinem Mittelpunkt stand der heutige Erzbischof von Burgos, Vormund und Erzieher des Königs, Mitglied des Regentschaftsrates. Er hatte noch bis vor wenigen Jahren das ruhige Gelehrtendasein eines bescheidenen Talmudisten geführt. In dieser Zeit hieß er Salomon Halevi. Was für gesegnete Zeiten das damals waren, und doch ist es nur neun Jahre her! Halevi hütete als Rabbi das Ghetto von Burgos, und die Juden wussten, dass sie ihn stets zu Hause fanden, sein Licht brannte bis spät in die Nacht. Doch plötzlich drang eine Meute bewaffneter Christen in das Ghetto ein. Sie trugen Fackeln und Schwerter. An der Spitze stand ein zerlumpter Mönch und hielt mit beiden Armen ein Kruzifix empor – ich sehe ihn vor mir, als wäre es gestern gewesen. Tod den Juden, schrien sie. Die Bedrohten waren wie auf einem sinkenden Schiff, keiner wusste, wohin er fliehen sollte. Nachdem die Räuber die ersten Türen erbrachen, die Goldstücke in den Häusern gesehen und die ersten fremden Blutstropfen auf ihren Händen gespürt hatten, gerieten sie in Raserei. Ich will die Einzelheiten nicht erzählen, es war grausam.«
Ferrands Augen glitzerten, als mache es ihm Spaß, zuzuhören. »Doch, erzähle weiter!«
»Nun, die Eindringlinge bekamen tausend Augen und fanden die geheimsten Verstecke. Als die Menschen außerhalb des Ghettos davon hörten, erhielten die Eindringlinge Hilfe. Männer aller Stände, Bürger, Matrosen, Sklaven, junge Mädchen und Matronen, wurden vom Raubgeruch angezogen. Schon lagen auf den Straßen überall Leichen, Verwundete schrien, Frauen schienen wahnsinnig. Und inmitten dieses Chaos, angesichts des Todes, knieten die Juden vor ihren Verfolgern nieder und erflehten die Taufe!«
»Manchmal geht es eben nur mit Gewalt.«
»Nein, Ferrand. Die Sakramente, die uns von der Erbsünde reinigen, wurden damals mit unaustilgbaren Verbrechen verbunden.«
»Was wurde aus dem Rabbi? Wie hieß er noch – Halevi?«
»Auch er kniete vor den Mördern und bat um die Taufe. Er flehte um Gnade für die anderen. Aber es war vergeblich. Sie plünderten und mordeten. Salomon Halevi trat nie mehr wieder in die Dienste der jüdischen Gemeinde Almaha. Er zog von Diözese zu Diözese, und eine Zeit lang hörte man nichts mehr von ihm. Dann tauchte er wieder auf, er war konvertiert – und wurde Erzbischof. Ich will so etwas nie mehr mit ansehen müssen.«
Ferrand schwieg. Henri hatte das bittere Gefühl, der Franzose tat es, um sich nicht zu verraten. Wieder spürte er die ungute Stimmung in der Nähe des Adligen aus Tours.
Sie überquerten den Platz vor der Moschee. Inmitten der eingerissenen Mauern bereiteten sich Mönche auf den ersten Gottesdienst in der neuen Kathedrale vor. Über dem Gewirr der steilen, engen Gassen lag jetzt in der Nachmittagssonne der betörende Duft von Blumen aus den Gärten der weiß und gelb getünchten Häuser. In diesen Duft mischten sich Essensgerüche, aber auch der allgegenwärtige Gestank der Abwasserrinnsale, die kreuz und quer durch Toledo flossen.
Henri genoss das Bild des Friedens. Ferrand wollte in die Kirche. Henri verweilte noch einen Moment. Er sah Händler am Werk und schwarz gekleidete alte Frauen, die im Straßenstaub knieten und Schnecken verkauften, die in Körben vor ihnen lagen. An den Ständen des Seidenbasars wurden Einlegearbeiten, Keramik, grün und blau bemalte Tonware aus der Sierra und Teppiche aus den Bergen an die wohlhabenden Bewohner Toledos verkauft. Und nebenan saßen die einfachen Leute und aßen köstliche Gerichte, die auf offenen Herdfeuern oder Rosten der Garküchen zubereitet
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