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Die Verschwoerung von Toledo

Die Verschwoerung von Toledo

Titel: Die Verschwoerung von Toledo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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wurden.
    Plötzlich überfiel Henri das Gefühl, die Stadt liege auf der Lauer wie ein großes, gefräßiges Tier. War es wirklich so friedlich hier? Lebten nicht die Mauren und die Juden unter einer ständigen Drohung? Sie passten sich an. Wussten sie, dass sie argwöhnisch beobachtet wurden?
    Männer wie Ferrand de Tours waren ihre Feinde. Henri beschloss, dem Franzosen keinen Hass auf Andersdenkende durchgehen zu lassen.
    Henri blickte zu der Baustelle hinüber. Dort entstand die neue Zeit. Er sah das rege Treiben. Nicht nur die Bauarbeiter schufteten. Auch die Bettler und die obdachlosen Kinder, die Neugierigen und Verkrüppelten, die Alten und Beschäftigungslosen hielten sich hier auf, wo vielleicht etwas zu ergattern war. In gebührendem Abstand von der Baustelle, wo an der Ostseite die Mauern schon zwanzig Meter hoch gewachsen waren, hatten sich offene Badestuben mit dampfenden Bottichen angesiedelt. Handwerker boten ihre Dienste an, schilfbedachte Schankhäuser mit offener Theke, Fässern mit Rum und Jerez, herumliegenden Kalebassen und Kaminfeuer, über denen roher Schinken hing, luden zum Verweilen ein. Und in die Menge mischten sich ungeniert blutjunge freche Straßenmädchen, die unter den Arbeitern und Besuchern der Baustelle ihre Kunden fanden.
    Henri ging durch das provisorische Portal in die Schatten der Kirche hinein. Er suchte Ferrand und sah ihn in der Ferne auf der Betbank einer Kapelle knien. Im dämmrigen Innenraum herrschten die rotbraunen Kutten von Hieronymiten vor. Henri ging zu einer Seitenkapelle, in der es still war, und versenkte sich inbrünstig in sein eigenes Gebet. Erst als die Glocke im Ostflügel dumpf anschlug, kam er wieder zu sich. Er sah auf und erhob sich, seine Beine schmerzten vom langen Knien.
    Langsam ging er den Mittelgang der Kirche entlang bis hin zu den offenen, noch unvollendeten Mauern. Wie hoch ragten die weißen Marmorsäulen! Wie reich verziert waren die Kapitelle! Wie feierlich leuchteten die vielen hundert Kerzen in dem ausladenden Langhaus! Wie anmutig blickten die Heiligenfiguren, in deren Abbildungen nur die Ungläubigen Götzenbilder und das Urverbotene erblicken konnten!
    Wie viel Schönheit, dachte Henri, ist hier zusammengekommen! Er fühlte sich wohl und geborgen.
    Aber als er hinüberschaute in den Teil der Kirche, die Reste der Moschee barg, und dort die Muslime sah, die auf ihren Teppichen lagen, da musste er an das Leid denken, das der Glaube manchen Menschen zufügte. Auch den Juden! Und er dachte weiter: Ist die Pracht hier vielleicht nur falscher Pomp, der den weltlichen Fürsten zugute kommt? Soll vielleicht damit gar der wirkliche himmlische Herrscher hinweggedrängt werden, damit seine Botschaft die Herzen nicht mehr erreicht?
    Wie komme ich dazu, etwas Derartiges zu denken!, rief sich Henri zur Ordnung. Aber er konnte den Eindruck nicht mehr abschütteln, dass in den monumentalen Ausmaßen dieser neuen Kathedrale mit ihren sich abzeichnenden fünf himmelhohen Schiffen etwas sehr Anmaßendes lag. Als müssten die Auftraggeber ihre eigene Verlegenheit im Glauben mit tönenden Gesten vertuschen.
    Er verließ die Kirche und wartete auf Ferrand. Draußen schlug ihm die Hitze entgegen. Er versuchte, die bösen Gedanken zu vertreiben, und blinzelte in die tief stehende Sonne. Das Treiben, das er sah, empfand er als tröstlich. Es war, als verabreichte das Leben selbst ein reinigendes Bad.
    Als Ferrand kam, wollte er ihm etwas erzählen. Aber Henri spürte keine Lust zuzuhören. Er wollte nur einfach im Geschrei der Menge sein, in ihren Bewegungen, in den Gerüchen und Geräuschen. Er wollte sich durch ihre Lebendigkeit seiner eigenen Lebendigkeit versichern lassen.
     
     
    »Jetzt wird es ernst, Henri. Wir nähern uns den tiefen Dingen.«
    »Ich höre, Theophil.«
    »Nimm und lies!«
    Henri blätterte in dem dicken Folianten, bis er an die Stelle kam, auf die Theophil deutete.
    »Vom Anfang«, so stand da, »wird gesagt: ›Im Ebenbild Gottes erschuf er den Menschen‹, und wieder: ›In Ähnlichkeit Gottes machte er ihn.‹ Als sich aber die Menschen versündigten, verwandelte sich das Ebenbild, dass es immer unähnlicher wurde dem Urbild. Von da an war der Mensch der Furcht der wilden Tiere Untertan. Denn am Anfang trugen alle Wesen der Welt die Augen aufrecht, und vor ihren Blicken stand das Bild des himmlischen ›Heiligen‹, vor dem allein sie Furcht und Zittern kannten. Erst nach der Versündigung des Menschen geschieht es, dass jenes

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