Die Verschwoerung von Toledo
Krone jahrhundertelang die sichersten Einnahmen zu.«
Zunächst konnte er in diesen Worten nichts Verdächtiges erkennen. Er blickte die beiden anderen an.
»Lies nur, lies weiter!«, forderte Manuel ihn mit einer respektlosen Geste auf.
»Wir Juden zahlen jeden Tag Eintrittspreise, um Iberien sehen zu dürfen. Das muss aufhören. Wir zahlen bisher Kopfsteuer, direkte und indirekte Kollektivsteuer, Wegsteuer. Wir zahlen höhere Ausfuhrabgaben als die Christen, höhere Prozente von unseren Kreditgeschäften, entrichten in vielen Gemeinden noch Naturalabgaben und sind zur Quartierpflicht gezwungen. Weshalb? Sind wir Menschen zweiter Klasse? Zu alldem kommt noch eine besondere Abgabe in Höhe von dreißig Enari als Rückzahlung der dreißig Silberlinge, die einer von uns einst gestohlen haben soll! Und es heißt: Wir müssen in Erinnerung an den Tod des christlichen Hochstaplers Jesus Christus, der zu Recht von den Juden gekreuzigt wurde, in Gold zahlen, und man ordnet an, das im besten Wert zu tun. Um uns die Herrscher günstig zu stimmen, schließen wir mit ihnen komplizierte Geschäfte ab. Wir schießen der Krone große Summen vor, dafür verpfändet der Monarch der Gemeinde die Einnahmen aus christlichen Gebieten. Aber wir müssen diese Gelder selbst einziehen! Und dieses Tun ist immer die Ursache großer, gewaltsamer Übergriffe gewesen! Das muss ein Ende haben, und so müssen wir Iberien jüdisch machen. Wir wollten unsere finanzielle Unentbehrlichkeit ausnutzen, um individuelle und kollektive Freiheit zu erkaufen. Aber sie haben uns immer nur diffamiert. Und so sind wir zu dem Schluss gekommen, dass wir uns vom Joch der Christen befreien wollen! Wir werden über unseren Schatten springen und sie töten. Denn wir sind das Volk Adonais, des Herrn! Und nicht sie! Wir fangen an in Ocana, und von dort gehen wir nach Toledo. Und bald gehört uns ganz Altkastilien! Amen!«
Henri drehte das Pergament hin und her, aber er sah nirgends ein verräterisches Zeichen. Es musste also echt sein!
»Wenn diese Handschrift bei den christlichen Statthaltern in Toledo bekannt wird, werden alle Juden abgeschlachtet!«
Fassungslos starrte Ferrand Henri an. »Aber begreift Ihr denn nicht? Wenn die Juden ihren Plan verwirklichen, sterben in dieser Stadt alle Christen!«
»Ich kann an die Echtheit dieser Schrift nicht glauben. Es ist doch undenkbar! Auch die früheren Berichte über Verfehlungen der Juden waren doch immer gelogen! Man hat Anschuldigungen gebraucht, um seinen Hass zu stillen. Und um an die Reichtümer der Juden zu gelangen! In Frankreich ist das ein beliebtes Spiel. Auch wir waren davon betroffen. Als der König uns…«
Henri war im Begriff, sich als Templer zu verraten. Im letzten Augenblick wurde ihm das bewusst. Er schwieg und blickte seine beiden Gegenüber ratlos an.
Ferrand sagte verblüfft: »Seid Ihr Jude, Henri? Das würde Eure offensichtliche Sympathie erklären!«
»Unsinn! Ich bin bekennender Christ wie Ihr!«
»Jedenfalls«, sagte Manuel, »werde ich dieses Dokument morgen früh dem Stadtkommandanten von Toledo vorlegen. Er wird die notwendigen Maßnahmen zu treffen wissen.«
»Nein, wartet! Das müssen wir erst noch überlegen! Die Auswirkungen wären verheerend!«
»Worauf warten? Haben die Juden nicht schon genug Unheil angerichtet?«
Henri wurde mutlos. Seine beiden Gegenüber hatten einen Plan geschmiedet, der nur in Blut und Tränen enden konnte. Er musste versuchen, sie davon abzuhalten!
»Ferrand! Ich bitte Euch!«, bettelte Henri, »überlegt doch, was dieses offensichtlich gefälschte Schreiben anrichten würde! Die Frauen und Kinder! Es würde Hunderte von unschuldigen Toten geben!«
Ferrand ließ Henris Flehen kalt. Seine Augen funkelten gierig. Er sah Henri eisig an. »Das wird es! Es ist beschlossene Sache!«
3
Im Jahr des Herrn 1307, Aposteltage
Die Stadt Speyer lag unter Eis und Schnee. Wolfsrudel zogen hungrig durch das Grau und Weiß der weiten Ebene, machten aber weit vor den Stadttoren Halt. Sie steckten die Nasen in die kalte, rauchige Luft, zogen den Schwanz ein und trollten sich – noch. Das Heulen der mächtigen Rudel in den klaren Nächten erinnerte die Menschen in den verstreuten Dörfern daran, wie nahe Glück und Schrecken beieinander lagen. Man duckte sich in der Dunkelheit und rückte in den warmen Stuben zusammen. Und die Lichter des Osterfestes, obwohl es in diesem Jahr früh gefeiert wurde und jetzt vor der Tür stand, durchdrangen mit
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