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Die Verschwoerung von Toledo

Die Verschwoerung von Toledo

Titel: Die Verschwoerung von Toledo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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anders, als Rahel anzuschauen. Die junge Frau blickte zurück, in ihren braunen Augen standen viele Fragen. Woher kommst du? Wohin gehst du? Kannst du bleiben? Und Henri fragte stumm zurück: Weißt du überhaupt, wie schön du bist? Weißt du, wie mich deine Schönheit anrührt, in der sich stille Heiterkeit ebenso zeigt wie die leidende Innigkeit aller Jüdinnen? Und dann sprachen alle außer Henri im singenden Tonfall ein Gebet mit, und der Gast aus Frankreich schloss dabei die Augen.
    Als Theophil an der Stelle war, wo die Kinder Israels ängstlich durch das geöffnete Rote Meer gehen und schließlich vor dem Berg Sinai stehen, da hob Alma eins der ungesäuerten Brote empor. Und Theophil unterbrach seine Lesung, und ben Hiskia sagte: »Das ist unsere Kost, die unsere Väter und Vorväter in Ägypten genossen. Jeglicher, den es hungert, komme und genieße. Jeglicher, der da traurig ist, der komme und teile unsere Pessahfreude!«
    Ben Hiskia und seine Frau blickten dabei Henri an, und schließlich ruhten aller Blicke auf dem Tempelritter. Henri dankte ebenso mit Blicken. Er wollte eben, wie es der jüdische Ritus vorgab, sagen, dass die Juden dieses Jahr vielleicht noch als Knechte das Fest begingen, aber im kommenden Jahr schon als Kinder der Freiheit, das sei gewiss.
    Da klopfte es an das Tor.
    Alle blickten sich verwundert an, Rahel sah sogar erschreckt aus. Alma sagte: »Wer kann das sein? Jeder feiert doch in seinem Haus das Fest. Es müssen Fremde sein.«
    »Öffne und schau nach«, erwiderte Theophil und rollte das Pergament in die Hölzer zurück, denn unerwünschte Blicke durften es nicht sehen.
    Kurze Zeit später führte die Hausherrin zwei durchgefrorene Männer herein. Sie trugen weite Mäntel. Alma sagte: »Es sind Glaubensgenossen auf der Durchreise. Sie bitten darum, heute Nacht das Pessah mit uns zu begehen.«
    Theophil stand auf. »Friede mit Euch. Setzt Euch in meine Nähe! Esst und trinkt! Ich möchte in der Lesung fortfahren.«
    Die Fremden nickten flüchtig in die Runde und nahmen auf Stühlen Platz, die Alma von den Zimmerecken heranrückte. Henri dachte flüchtig, warum legen sie ihre Umhänge nicht ab, wahrscheinlich frieren sie noch immer. Und er lauschte wieder, wie die anderen, den Geschichten, die Theophil aus der erneut aufgerollten Pessah-Haggada, dem Buch der Sedernacht, vortrug.
    Als er an die Stelle des Buches kam, wo von den Rabbis erzählt wurde, die sich die ganze Nacht über den Auszug der Kinder Israels aus Ägypten unterhielten, bis ihre Schüler kamen, die Vorhänge aufzogen und sagten, es sei bereits heller Tag, da geschah etwas, das Henri einen Stich ins Herz gab. Eben noch schien alles vertraut und friedlich zu sein. Im nächsten Augenblick stand der Schrecken im Raum, der die Juden immer umschließt wie ein unausweichliches Schicksal.
    Henris Blicke lagen auf Rahel. Und plötzlich sah er, wie ihr lächelndes, sanftes Gesicht erstarrte. Er bemerkte, wie alles Blut aus ihren Zügen wich, wie die Lippen bleich und die Augen noch größer wurden. Ein inneres Grauen schien sie überfallen zu haben, im Entsetzen wurde ihr anmutiger Leib stocksteif.
    Henri wollte fragen, was sie habe. Aber er wagte nicht, Theophil zu unterbrechen. Die beiden Fremden hatten inzwischen ihre Umhänge abgelegt, Alma knabberte an dem ungesäuerten Brot, das Ehepaar ben Hiskia lauschte mit halb geschlossenen Augen. Die Kerzen waren beinahe heruntergebrannt.
    Dann war die Lesung beendet.
    Alma holte die Waschschüssel herein, und während sie den Gästen Wasser über die Hände laufen ließ, machte Rahel Henri ein Zeichen, er solle ihr nach draußen folgen.
    Die Nacht war eisig klar. Sie holten ihre Mäntel, hüllten sich darin ein, und als Henri wissen wollte, was Rahel ihm sagen wolle, legte sie ihm den Finger auf den Mund. Sie ergriff seine Hand und zog ihn in die dunklen Gassen Speyers hinaus. Henri machte eine Geste in Richtung von Theophils Haus. Aber sie waren schon am Tor. Sie befahl dem Wächter, das Tor aufzuschließen. Henri begriff noch immer nicht. Rahel zog ihn zum Rhein hinunter.
    Henri spürte, wie eiskalt Rahels Hand war. Und langsam wurde es ihm auch kalt ums Herz. Denn was sie tat, das Haus ihrer Eltern einfach zu verlassen, schien ihm so unverständlich, ja verwirrend, dass er mehrmals stehen bleiben und das Mädchen um Aufklärung bitten wollte. Aber dann blickte sie ihn so flehend an, dass er ihr folgte.
    Sie bestiegen ein Boot. Rahel wollte rudern. Henri nahm ihr das Ruder aus

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