Die Verschwoerung von Toledo
in der Christenstadt, und tut es selbst, es wird als Beweis dafür gelten, dass ihr alle unschuldig seid. Rahel ist in Sicherheit. Und ich werde so lange auf Euch aufpassen, bis alles zum Besten geregelt ist!«
»Euch schickt Gott«, stammelte Alma.
»Uns alle hat Gott geschickt«, erwiderte Henri. »Wir müssen es nur endlich begreifen und uns würdig erweisen.«
4
Ende Juli 1315, Tage der Maria Magdalena
Es fiel Henri zunehmend schwer, sich auf den Kabbala-Unterricht zu konzentrieren. Desto erleichterter war er darüber, dass endlich Joshua ben Shimon eingetroffen war. Er brachte den Knappen Sean of Ardchatten mit, der noch immer in der Seligkeit seines Liebeskummers schwelgte und Reime verfasste. Hin und wieder ließ er auch das Lied seiner Flöte hören, die seine jugendliche Sehnsucht nach der fernen Guinivevre ausdrückte. Joshua, der den Jungen ebenso liebte wie Henri und dieses Gefühl auch besser ausdrücken konnte, lächelte beim Anhören dieser Lieder. Und so hatte Henri das Gefühl, den drohenden Schatten, die über Toledo aufgezogen waren, mit neuer Kraft begegnen zu können, Theophil drängte darauf, den Unterricht fortzusetzen. Er wollte von Henris Warnungen, die Ghettojuden Toledos befänden sich in Lebensgefahr, nichts hören. Und tatsächlich hatte Henri bei Ferrand de Tours bewirkt, dass der das verräterische Pergament noch nicht dem Stadtkommandanten aushändigen wollte. Henri hatte seinen Eingriff damit begründet, dass er die Handschrift noch einmal gründlich auf ihre Echtheit hin studieren wollte. Ferrand gab ihm dafür fünf Tage. Danach wollte er den Alarm auslösen und die Christen auf die Juden hetzen.
Henri hatte also fünf Tage Zeit, um sich einen rettenden Plan auszudenken. Die Handschrift einfach zu vernichten genügte nicht. Denn da er sie für gefälscht hielt, würde es Manuel jederzeit möglich sein, eine neue Anklageschrift zu fälschen und herbeizuschaffen.
Theophil empfing seinen Scholaren zur vorletzten Lektion gleich nach Sonnenaufgang. Über der Stadt lag seit Wochen eine flirrende Hitze. Keine Wolke stand am Himmel, und die kleinen Flüsse waren ebenso wie der mächtige Tajo nun fast ausgetrocknet.
Henri hatte sich in die Bücher versenkt. Und er glaubte, dem Verständnis der Kabbala sehr nahe gekommen zu sein. Abends war er vom vielen Studieren, das für ihn eine ungewohnte Beschäftigung war, so müde, dass er bei brennenden Kerzen über den Seiten einschlief. Am Morgen schmerzte sein Kopf.
»Nichts außer Gott existiert. Was heißt das? Denn gibt es nicht das Böse in der Welt? Krankheiten, Erdbeben, schlechte Menschen, die aus dem Glauben heraus das Falsche tun?«
Der Scholar rieb sich die Augen und sagte: »Das gibt es überall, ja.«
Theophil blieb hartnäckig. »Wie kommt das Unvollkommene in die Welt? Indem Gott sich zurücknimmt. Er zieht sich für einen Moment zurück und lässt das banale Sein in die Welt. Wenn dies aber nur ein Teil der Schöpfung ist, kann es eben nicht von Licht durchflutet und göttlich sein – es ist unvollkommen.«
»Aber damit kann man ja alles erklären!«
Theophil hob die Hand. »Moment! Das bedeutet ja nur, dass alles, was jetzt noch unvollkommen ist, sich durch Gottes Rückkehr wieder vollständig manifestieren wird.«
»Das zeigt uns einen Gott, der sich bewegt, der sich in der Entwicklung befindet. Wie ist das möglich? Ist Gott denn nicht vollendet?«
»Man kann sagen, dass in Gott seit jeher zwei Lichter brennen. Ein gedankenloses und ein schöpferisches. Das erste ruht in sich und genügt sich selbst, das zweite bringt den Willen zur Schöpfung hervor.«
Henri musste einen unwilligen Moment lang an Manuel denken. »Verstehe ich es richtig, Meister, wenn ich sage, der Urgrund des Schlechten und Unvollkommenen, selbst ein so unwürdiges Wesen wie Manuel, ist ein Teil des Schöpfers selbst? Wie können dann die Menschen Schuld haben, wenn sie Böses tun?«
»Sie haben nur dann Schuld, wenn sie nicht bestrebt sind, das gedankenvolle Licht zu ergreifen und es über dem Bereich erstrahlen zu lassen, der sich bisher dem Guten versagt hat. Denn diese Möglichkeit besitzt jeder gedankenvolle, gläubige Mensch, und dazu verpflichtet ihn die Schöpfung. Dann geht der Prozess zu Ende.«
»Ist das die neunte Lektion?«
»Es ist die Voraussetzung. Die neunte Lektion besagt etwas, das daraus folgt. Es ist etwas, das dich besonders interessieren wird, denn damit wird dein aktives Wesen angesprochen. Und es
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