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Die Verschwoerung von Toledo

Die Verschwoerung von Toledo

Titel: Die Verschwoerung von Toledo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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hatte ein Festkleid aus Licht und Klängen angelegt. Die Prozession war nicht zu sehen.
    Aber aus dem Inneren von Debra Mariam drang jetzt Licht von flackernden Öllampen heraus. Schatten gingen an der Decke entlang, es waren die Umrisse alter Männer, die im Kreis saßen.
    Henri fragte, was sie tun müssten, um auf der Insel bleiben zu können. Der Junge schüttelte den Kopf. Henri wollte ihm Geld geben. Aber der Junge zeigte kein Interesse.
    Sie mussten die Insel verlassen. Die Mönche eskortierten sie.
    Entlang des Weges bis hinunter zum Wasser bemerkten sie jetzt Steine. Sie schienen aus ihrem Inneren heraus zu leuchten. Sie markierten den Pfad, den sie zu gehen hatten.
    Henri hatte das Gefühl, in eine andere Zeit eingetaucht zu sein. Als es schlagartig dunkel wurde, beschlich ihn ein mulmiges Gefühl. Kein Mond beleuchtete die Insel, keine Fackel war zu sehen. Nur die Steine am Wegesrand leuchteten matt und geheimnisvoll.
    Sie erreichten ihr Boot. Die Ansiedlung der Mönche verschwand in der Nacht wie eine Einbildung.
     
     
    »Sollen wir weiter suchen?«
    »Was meinst du?«
    »Unbedingt!«
    Die Provinz, durch die Henri und Uthman, jetzt wieder allein auf sich gestellt, zu ziehen beschlossen, hieß Woggora. Mal tauchten spitze Kegel vor ihren Blicken auf, mal wahre Pyramiden aus Stein und Geröll, die wie umgedreht in den steinigen Boden gerammt waren. Am Rand von Trampelpfaden, auf die ihre Pferde die Hufe setzten, fielen ihnen Ruinen auf, die aus Bruchstein bestanden, auf dem Hieroglyphen zu erkennen waren. Uthman wollte absteigen, um sie zu entziffern. Aber Henri drängte darauf, weiterzureiten.
    »Lass uns in die Hauptstadt ziehen. Wenn wir den Priesterkönig dort nicht finden, verlassen wir das Land.«
    »Vielleicht gibt es einen Priesterkönig ebenso wenig«, sagte Uthman, »wie es eine Hauptstadt gibt. Besser gesagt – er ist überall. In jedem Stein, wie der Junge sagte. Das habe ich auf dieser Klosterinsel gelernt.«
    »In der Hauptstadt werden wir darauf eine Antwort erhalten«, meinte Henri. »Ich habe das Gefühl, dort finden wir auch unser gemeinsames Andenken, das wir mitnehmen wollen.«
    »Also gut.«
    Nach den Ruinen, die sie passiert hatten, öffnete sich der Weg, begann anzusteigen und ließ Überbleibsel einer alten gepflasterten Heerstraße erkennen. Die Sonnenglut wurde mit jedem Tag, den sie ins Landesinnere vorstießen, größer, sodass sie bald in der Mittagshitze rasten mussten und erst gegen Abend weiterziehen konnten. Tief in der Nacht schlugen sie dann ihr Lager auf.
    Die Nächte waren erfüllt vom Geschrei der Affen und dem Duft des Jasmins. Henri musste immer öfter an seine gefangenen Tempelbrüder in der Heimat denken, und er sah Uthman an, dass dieser sich nach Cordoba zurückträumte, das er – neben Mekka – für die alleinige Hauptstadt der bekannten Welt hielt. Aber Henri ahnte, dass diese Reise für sie beide wichtig war. Irgendwie befanden sie sich auf einer vorgezeichneten Spur.
    Aber wohin führte sie diese Spur?
    Suchten sie wirklich noch nach dem Priesterkönig Johannes, von dem sie auf der Insel eine Ahnung bekommen hatten? Warum reichte ihnen diese Erfahrung nicht? Ging es jetzt nicht vielmehr um ein Zeichen für ihre Freundschaft?
    In den traumerfüllten Nächten unter freiem Himmel mit all den blinkenden weißen Sternen beschlich Henri zunehmend das Gefühl, die Reise ginge vor allem in das Innere seiner eigenen Seele hinein. In das Befremdliche, das ihrer aller Existenz ausmachte. Zu den dort lauernden Grundfragen. Und er selbst war es, der diesem Befremdlichen in diesem seltsamen Land unter dem niedrigen Himmel den Namen Priesterkönig Johannes gegeben hatte.
    Henri sah zu Uthman hinüber. Der Sarazene hielt die Blicke zum Himmel gerichtet.
    »Uthman?«
    »Ja?«
    »Es ist seltsam. Ich dachte, mit dieser Reise könnte ich die Schlachten im Heiligen Land vergessen, das Grauen in Frankreich. Aber nun treten sie mir deutlicher vor Augen denn je. So als sei Äthiopien ein Spiegel, in dem wir und unsere Taten immer schärfer und größer hervortreten.«
    »Es geht mir ähnlich. Ich kann nichts davon abschütteln, es rückt immer nur näher.«
    »Ich muss mir Rechenschaft geben, was ich getan habe.«
    »Willst du von den Gräueln erzählen, die du erlebt hast? Vielleicht wirst du die Bilder dann los.«
    »Vielleicht… ach, ein anderes Mal.«
    Am nächsten Tag erreichten sie eine größere Ansiedlung. Sie beschlossen, sie nicht zu umgehen.
    In den strohbedeckten,

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