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Die Verschwoerung von Toledo

Die Verschwoerung von Toledo

Titel: Die Verschwoerung von Toledo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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Welt.«
    Aber ein anderer widersprach ihm. »Nein, sie kamen einst aus der alten Hauptstadt Axum, südlich des Asmarasees, sie flüchteten eines Tages hier herauf zu den siebenunddreißig verborgenen Inseln, die im Rücken kein Land kennen. Es gibt Verstecke, die niemand kennt.«
    »Warum flüchteten sie hierher?«
    »Wegen ihres christlichen Glaubens. Es sind Ungläubige.«
    »Haben sie denn Frauen und Kinder?«
    »Nein, natürlich nicht. Sie holten sich immer wieder junge Männer aus dem Land, ruderten sie hinüber und behielten sie dort draußen. Ein eigenes, fremdes Reich.«
    Henri starrte voraus. Die Inseln schienen nicht näher zu kommen. Auch Uthman schien diesen Eindruck zu haben, er sagte: »Vielleicht schwimmen sie mit der Strömung, mal hierhin, mal dorthin!«
    »Das glaube ich nicht, auf solch schwankendem Grund könnte man keine Klöster oder Kirchen bauen.«
    Eine Antwort auf ihre Fragen erhielten die Männer eine Stunde später. Sie legten unter mächtigen Wurzeln von Bäumen, die wie Burgpalisaden wirkten, an einem Ufer an.
    Als sie an Land sprangen, erwarteten sie auf einem Pfad, der sich einen Hügel emporschlängelte, zwei unbewegliche Gestalten. Die Gestalten verbeugten sich und vollführten eine einladende Handbewegung, so als hätten sie schon auf die Fremden gewartet. Beim Näherkommen sahen die Gefährten, dass sie lange, bunte Mäntel mit Kapuzen trugen, ihre Haut war tiefschwarz, ihre Gesichtszüge aber scharf geschnitten, ihre Bärte lang und verfilzt. Sie waren so dürr, dass Brustbein und Rippen wie bei einem Skelett hervortraten. Auf der Brust trugen sie rautenförmige Kreuze, die sie mit ihren Fäusten umklammerten.
    »Wie heißt diese Insel?«, fragte Henri, wieder auf Aramäisch.
    »Sie heißt Gindar«, erwiderte einer der Führer, »und sie ist so heilig, dass keine Frau, nicht einmal eine Kaiserin, sie betreten darf.«
    Überall verstreut lagen kreisrunde Hütten aus hochgebogenen Ästen, mit dicken Strohdächern. Als sich die Ankömmlinge beim Weitergehen umdrehten, bemerkten sie, wie Menschen vor die Hütten, ihre einfachen tukuls, traten, Männer jeden Alters, jung und unterernährt die einen, gebeugte Greise mit weißem Haupthaar die anderen, dazwischen stolze Gestalten im besten Alter, in Sackleinen gehüllt und barfuß. Sie murmelten unaufhörlich Gebete, ihre Finger spielten mit kleinen Kreuzen.
    »Johannes, Presbyter«, sagte Henri unwillkürlich stumm, »hier ist also dein Reich…«
    Vor der Kirche, die den Hügel krönte, schlugen zwei Jungen eine tonnenförmige Felltrommel, dazu sangen ihre gebrochenen Stimmen fremde, traurige Lieder. Ein Gong ertönte, der Laut hing lange in der feuchtwarmen Luft. Die Ankömmlinge betraten jetzt einen Kirchenraum, in dem der Altar den gesamten Mittelteil ausfüllte, an den weißen Wänden hingen wunderschöne Bilder, goldglänzend, in einem merkwürdigen Kontrast zur äußersten Armut der Bewohner.
    »Es sind Bettelmönche«, erklärte ihnen ein Führer auf Henris entsprechende Frage. »Sie dürfen nichts besitzen. Dabei enthalten die Klostermauern unvorstellbare Schätze.«
    »Könnt ihr uns zum Priesterkönig führen?«, wollte Henri wissen.
    Die Führer deuteten voraus. Hinter der Kirche erhob sich ein Turm, aus Stein gebaut, der langsam verwitterte. Henri traute seinen Augen nicht. In dem zur See hin offenen Turm saß ein Mann. Er sprach nicht. Er rührte sich nicht.
    »Wenn das der Priesterkönig sein soll«, sagte Uthman, »dann herrscht er über ein sehr armes Reich.«
    »Es ist ein Mönch, der alle Weisheit kennt«, erklärte ein Führer. »Er hat seinem Gott gelobt, unbeweglich bis zu seinem Tod sitzen zu bleiben.«
    Henri blickte fasziniert auf den lebendigen Heiligen, dessen Silhouette sich vor den dicht über ihn dahintreibenden Wolken abzeichnete. Nein, das war nicht der Priesterkönig. Er kannte solche Asketen aus den kastilischen Klöstern.
    Die Mönche, die sie empfangen hatten, führten die Besucher nun in einen ovalen Tempel. Hier breiteten sich Regale mit weißen Totenschädeln aus. An den Wänden hingen gerahmte Heiligenbilder von großem künstlerischen Reichtum. Im Halbdunkel sahen die Ankömmlinge sechs mächtige Särge. Als die Mönche, die dort warteten, bestickte Sargtücher zur Seite zogen, erblickten sie knochendünne, eingeschrumpfte Mumien mit runzligen Armen, über der Brust gefalteten Händen und bleckendem Grinsen, das ihre Zahnreihen freilegte.
    »Es sind unsere alten Kaiser«, erklärte ein Mönch

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