Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verschwoerung von Toledo

Die Verschwoerung von Toledo

Titel: Die Verschwoerung von Toledo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
Vom Netzwerk:
leben auch weiter nördlich an der Küste.«
    »Wer ist der Herrscher dieser Stadt?«, fragte Henri immer wieder.
    Ein älterer Jude, der gerade mit seinen tefilin heilige Buchstaben aus dem heiligen Buch, der Thora, geformt hatte, gab ihm zur Antwort: »Der Herrscher ist Negadé Haimamot der Erste.«
    »Ist er der Priesterkönig Johannes?«
    Der Jude blickte Henri verständnislos an. »Ihr könnt ihn nicht aufsuchen. Denn alle Nichtjuden leiden unter der Schlafkrankheit, auch der Herrscher. Sie liegen schon auf den Stufen der Freitreppe, bewegungslos und verkrümmt, sie sind von der Fliege gestochen worden. Auch Hellhäutige wie Ihr sind davon betroffen.«
    »Dann lass uns weiterziehen«, schlug Henri Uthman vor. »Wo es statt dem Priesterkönig nur Schlafkranke gibt, werde ich kaum eine geistige Erfahrung machen können.«
    Es war ein guter Entschluss.
    Denn beim Weiterreiten durch immer üppiger werdende Täler stießen sie auf Landschaften, die Henri an die Schilderungen des biblischen Paradieses gemahnten. Sykomoren mit einer Spannweite von vier Metern ließen den Eindruck von riesigen Städten entstehen, die von der Natur in wogendem, duftendem Grün gebaut worden waren. Überall roch es plötzlich nach Blüten, bunte Vögel, vor allem Papageien, Glanzstare und Wolamoreiher, beobachteten sie von Feigenbäumen herab.
    »Wenn wir ihn hier nicht finden, dann kehren wir um«, meinte Henri. »Denn sonst müssen wir in ganz Afrika suchen.«
    Am nächsten Morgen lag ein atemberaubendes Panorama vor ihnen. Eine grüne Ebene, vom Rand eines blauen Sees gekrönt, erstreckte sich vor ihren Augen. Das ganze Land schien eine einzige einladende Geste des Willkommens auszuführen. Der sanfte Wind wogte in Gräsern und Palmen, so als tanze die Landschaft. Beim Hinabreiten säumten Zwergaffenbrotbäume und wilde Olivenbäume ihren Weg. Und am Rand des Hochplateaus dufteten blaue Blumenteppiche, zwischen Basaltblöcken sprudelten Bäche, und die Sonne erfüllte die Gefährten mit Zustimmung für das Leben.
    »Das Paradies, meinst du nicht?«, rief Henri begeistert.
    »Ohne Zweifel«, meinte Uthman, den Henri zum ersten Mal seit langer Zeit lächeln sah.
    Sie waren froh, eine Stadt zu erreichen, in der sie Wasser kaufen konnten. Sie hatten ihre Lederbeutel zwar gut gefüllt, aber in der Hitze verdunstete das Trinkwasser schneller als erwartet. Die Stadt in der Ebene war heiß. Sie tranken an einer Quelle und aßen hauchdünn filetierte Fleischstücke von einer Feuerstelle, die ein Falascha betrieb. Sie erfuhren, dass am See Bodi, Surma, Hamar, Bumé und Mursi lebten, die an Zauberer glaubten.
    »Ihre Medizinmänner werden euch Weiße töten, wenn ihr ihnen in die Quere kommt!«, erklärte der Falascha.
    »Das Paradies?«, meinte Uthman ironisch zu Henri.
    Als sie in die Stadt am Seeufer einritten, machte Uthman plötzlich ein Zeichen. Sie hielten. Uthman lauschte Rufen. »Hörst du das, Henri? Sie rufen: Mein König, lass mir Gerechtigkeit widerfahren!«
    »Ja und?«
    »Das ist die Bedeutung ihrer amharischen Rufe, mein Freund. Aber hörst du, wie das klingt, wenn man diese Bedeutung weglässt, wenn man nur dem Klang lauscht?«
    Henri hörte genau zu. Und allmählich verstand er, was Uthman meinte. Die Rufe wurden lauter, die Stimmen klagten: »Prête O Ian Hoi! – Prête O Ian Hoi!« Und je länger er hinhörte, desto mehr nahm dieser Satz einen anderen Klang an: »Prête I Annis! – Prête I Annis!«
    Henri stieß verblüfft hervor: »Prête Ionnis, Priester Johannes!«
    »Genau. Prête I Annis, Priester Johannes, so nennen sie den König der Könige, und es gibt keine andere Ableitung für diesen Namen als ihren ständigen Ruf, der heißt: Mein König, lass mir Gerechtigkeit widerfahren.«
    »Du meinst, wir haben den Priesterkönig hier gefunden?«
    »Ich glaube eher, sie nennen jeden ihrer Könige der Könige, jeden Negusa Nagast, so.«
    »Lass uns näher heranreiten. Vielleicht erfahren wir etwas. Frage auch nach der Expedition aus dem Abendland, die hier verschollen ist.«
    Uthman erfuhr, dass die Stadt Lalibela hieß. Für die einheimischen amharischen Stämme galt es als Jerusalem. Dann muss es die Hauptstadt sein, dachte Henri. Über die verschollene Expedition wusste niemand etwas.
    Man feierte gerade das Timkatfest und vollzog symbolische Taufhandlungen, mit denen Kinder unsterblich gemacht werden sollten. Henri und Uthman beschlossen, hier zu verweilen.
    Schon nach einem Tag in dieser Stadt lernten die Gefährten

Weitere Kostenlose Bücher