Die verschwundene Frau
schneidend.
»Und noch was. Ich habe eine Videokassette von dir. Baladine hat sie während des Schwimmwettbewerbs aufgenommen.«
»Woher hast du die?« fauchte sie mich an. »Hat er sie dir gegeben?«
Ich lächelte. »Er weiß nicht, dass ich sie habe. Sie gehört dir, Alex, und zwar an dem Tag, an dem ich konkrete Beweise dafür habe, dass Global Wenzel, den Leiter der Werkstatt in Coolis, gefeuert hat, und dass er nirgendwo sonst in eurem Unternehmen arbeitet. An dem Tag, an dem Carnifice den Aufsehern Polsen und Hartigan kündigt, ohne sie irgendwo anders unterzubringen.«
Sie erstarrte. »Ich habe wenig Einfluss auf das Tagesgeschäft von Global, und ich arbeite nicht für Carnifice.«
Ich lächelte weiter. »Natürlich nicht. Und es sieht auch nicht so aus, als würde Baladine noch sehr lange für Carnifice arbeiten, jedenfalls nicht, wenn man den Berichten in den heutigen Zeitungen Glauben schenken darf. Die Unternehmensleitung übt aufgrund der E-Mail und der Publicity, für die wir diese Woche gesorgt haben, Druck auf ihn aus, tatsächlich zurückzutreten. Und Jean-Claude Poilevy, der immer schon ziemlich genau gewusst hat, wie man Krisen übersteht, zieht sich aus der Affäre, so schnell er kann. Er sagt, Baladine habe das Geschäft in Coolis ganz ohne sein Wissen aufgezogen, und er sei schockiert über den sexuellen Missbrauch, der offenbar in dem Gefängnis stattfindet. Ich glaube, den Verantwortlichen bei Carnifice käme es ganz gelegen, ein paar von den unteren Chargen zu entlassen. Wenn sie Polsen und Hartigan kündigen, können sie in der Presse groß damit angeben, dass sie jetzt mit dem eisernen Besen kehren.«
»Ich kann dir nichts versprechen.«
»Natürlich nicht. Übrigens bist du nicht die einzige Frau, die Baladine auf dieser Couch mit der Videokamera aufgenommen hat. Er hat auch mit dem Exkindermädchen geschlafen, der Frau, die zu Tode gekommen ist. Er ist wirklich kein sonderlich angenehmer Zeitgenosse.«
Sie musste schlucken. Dann machte sie Anstalten, mich zu fragen, was ich gesehen hatte, verließ aber den Raum doch, ohne irgend etwas gesagt zu haben.
Ursprünglich hatte ich daran gedacht, die Videos mit Nicola Aguinaldo zu verwenden, um Baladine von seiner Entführungsklage abzubringen, aber ich hatte keine Lust, sie im Tod noch genauso auszubeuten, wie sie es im Leben hatte ertragen müssen. Außerdem war ich mir mittlerweile ziemlich sicher, dass ich die Anklage vor Gericht abschmettern konnte. Und ich hatte recht: Als mein Fall sechs Tage später vor Gericht kam, wurde ich von alle n Anklagepunkten freigesprochen. Der Richter meinte sogar, er begreife nicht, warum der Staat die Anklage überhaupt erhoben habe, aber da die Eltern des Jungen nicht anwesend seien, um eine Erklärung dafür abzugeben, warum sie die Polizei gerufen hatten, könne er auch keine Spekulationen über ihre Gründe anstellen. Außerdem sei der verhaftende Beamte nun tot, und damit solle die Sache ein Ende haben. Was für ein Spatzenfurz nach all dem Gedöns!
Als ich nach Hause kam, fand ich dort einen von Alex Fisher persönlich abgelieferten Umschlag mit den Kopien der Kündigungsschreiben an Wenzel von Global und an Polsen und Hartigan von Carnifice vor. Die drei wurden wegen Fehlverhaltens im Dienst gefeuert und hatten somit keinerlei Anspruch auf Ausgleichszahlungen. Ich schickte Alex das Tape, auf dem sie zu sehen war, ließ die anderen drei jedoch weiter in meinem Schließfach bei der Bank.
Ein Artikel in der Zeitung vom nächsten Tag erklärte, dass Baladine unter Erschöpfungszuständen aufgrund von Überarbeitung leide und die Unternehmensleitung sein Rücktrittsgesuch angenommen habe, während er sich in Houston einer medizinischen Behandlung unterziehe. Seine Frau siedle zusammen mit ihren Töchtern nach Kalifornien über, um sie in einem Schwimmförderprogramm einzuschreiben, und sie selbst werde fortan das Amt der Schwimmtrainerin für das Team der University of Southern California bekleiden. Die gute alte Eleanor. Sie hatte wirklich nicht viel für Verlierer übrig.
Und ich konnte in der Nacht immer noch nicht schlafen. Irgendwann kam ich zu dem Schluss, dass ich nach Coolis zurück musste. Ich musste das Gefängnis noch einmal sehen, erkennen, dass es keine Macht mehr über mich hatte.
Landarbeiter ernteten gerade das Getreide, als ich am nächsten Morgen in Richtung Westen fuhr. Das leuchtende Grün des Sommers hatte den gedämpften Brauntönen in den Wäldern des Fox River Platz
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