Die versteckte Lust der Frauen - ein Forschungsbericht
arbeiteten, die schwere Rückenmarksverletzungen erlitten hatten und theoretisch nicht mehr hätten fühlen dürfen, was unterhalb ihrer Gürtellinie passierte. Ihre Genitalien hätten empfindungslos sein sollen. Bei Untersuchungen im Labor erwiesen sich die Klitoriseicheln der Paraplegikerinnen tatsächlich als gefühllos. Die vordere Innenseite der Vagina und der Muttermund reagierten dagegen höchst sensibel. Als sie masturbierten, indem sie die Scheidenwand oder den Muttermund stimulierten, berichteten die Probandinnen von Orgasmen. Die Wissenschaftler überprüften das mit Messungen von Schmerzempfinden, Puls und Erweiterung der Pupillen. All das hatten die Sexualforscher bereits als Anzeichen eines sexuellen Höhepunkts verifiziert: Schmerz wird nicht mehr wahrgenommen, der Puls rast, die Pupillen weiten sich. Whipple, die neben den masturbierenden Frauen saÃ, sammelte die Daten mit einem kalibrierten Finger-Pricker und einem Pupillometer. Sie und Komisaruk veröffentlichten Aufsätze, in denen sie argumentierten, dass der Vagus und in einigen Fällen die hypogastrischen Stränge die ekstatischen Botschaften der Vagina um die Stelle der Rückenmarksverletzung herumleiteten, während die Signale des äuÃeren Teils der Klitoris im Gegensatz dazu auf das untere Rückenmark angewiesen und damit abgeschnitten seien. Das, so folgerten sie, beweise, dass vaginale Orgasmen existierten und spezifisch seien und nichts mit dem zufälligen Reiben und Pressen der Klitoriseichel zu tun hätten. Und sie erklärten diese beiden Umgehungen, den hypogastrischen Strang und den Vagus, zu den Ursachen dafür, dass Frauen mit gesundem Rückenmark vaginale Höhepunkte anders beschrieben als klitorale, nämlich »tiefer«, »pochender« und »stärker«. Irgendwie riefen wohl die weniger linearen, gewundeneren und tiefer eingebetteten Nervenbahnen diese Empfindungen hervor.
Aber selbst wenn man Belege wie die Zwillingsstudie ausblendet und eher den Ergebnissen mit den Querschnittgelähmten und der Annahme eines inneren Orgasmus vertraut, bleibt doch ein primäres Rätsel, das alles verschleiert: Wo liegt der exakte anatomische Ursprung oder worin besteht die Kombination physiologischer Ursachen für diese Vielfalt von Wonnen? Ist der G-Punkt ein Punkt oder eine diffuse, sich sogar leicht wandelnde Gegend? Besteht er aus der gesamten Scheidenwand oder geht es eher um das, was sich dahinter befindet, die nervendurchzogenen klitoralen Ausläufer, die Schenkel, die man erst Ende der Neunzigerjahre als solche erkannte? Wenn diese Ausläufer und die Stimulation, die sie während des Verkehrs durch die Wand der Vagina erfahren, die entscheidende Rolle spielen, sind vaginale Orgasmen dann nicht letztlich auch klitoral? Oder hat Komisaruk recht, wenn er aus seinen Daten, die er mithilfe querschnittgelähmter Frauen erhalten hat, ableitet, dass dies wahrscheinlich nicht sein kann, weil bei den gelähmten Frauen die Nervenstränge aus den Schenkeln ebenso durchtrennt sein müssten wie bei den Verbindungen mit der Eichel?
Und wie soll man sich schlieÃlich die Mechanik und die Nervenbahnen für die vermutete dritte Variante des sexuellen Rausches, des zervikalen Orgasmus, erklären? Dabei handelt es sich um eine späte Erweiterung der Orgasmus-debatte â und um eine mit möglicher Bedeutung für die Fortpflanzung. Wie auch bei den Ratten erleichtert die Stimulation des Muttermunds der Frau eine Hormonausschüttung, die â in noch unbekanntem Ausmaà â das befruchtete Ei unterstützt. Auf wissenschaftlichem Wege herauszufinden, ob Frauen tatsächlich einen zervikalen Orgasmus erleben, dürfte unmöglich sein. Es ist schwer vorstellbar, wie sich diese Erfahrung isolieren lassen sollte, schwer vorstellbar, wie ein Dildo, egal, ob selbst gebastelt oder sonstwie hergestellt, aussehen müsste, der nicht als Nebeneffekt auch die Scheidenwand, sondern ausschlieÃlich das Ende des Vaginalkanals berührt.
Mit dem Vorsatz, das Geheimnis des G-Punkts â wenn nicht gar der zervikalen Ungereimtheiten â zu entschlüsseln, setzten kürzlich zwei französische Ãrzte eine Frau auf einen gynäkologischen Stuhl. Sie hatte erklärt, vaginale Orgasmen zu bekommen. Dann lieÃen sie ihren Partner in sie eindringen und befestigten einen Ultraschall-Scanner auf ihrem Becken. Dieses Bild vom Geschlechtsakt
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